Eine Grenze mit einer Länge von 1400km, eine Grenze, die ein
Volk trennt, von heute auf morgen spaltet. Die menschlichen Schicksale als
verheerende Folgen mit sich bringt. 40 Jahre trennte sie das deutsche Volk, ein
Volk, das es in der Historie durch die Kleinstaaterei in den vorangegangen
Jahrhunderten vergleichsweise lange
schwer tat, sich als ein gemeinsames Volk zu finden. Ein grausames Kapitel in
der deutschen Geschichte, diese innerdeutsche Grenze.
Ein Anfangs- oder
Endpunkt, je nachdem wie man es sehen will, ist das Dreiländereck
Sachsen-Bayern-Böhmen. Ein Grenzpunkt an
drei Ländergrenzen. Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Demokratische
Republik und die Tschechoslowakei kreuzten zu Zeiten des Kalten Krieges ihre
Schwerter. Es ist keine Stadt, es ist
keine Festung, es ist ein Idyll in der Natur, fast unscheinbar und ohne Tam Tam.
Geographisch befinden wir uns im nordöstlichen Oberfranken,
circa 20km westlich der 46000-Einwohner-Stadt Hof/Saale. Eichigt auf
sächsischer Seite, Hranice auf tschechischer/böhmischer Seite und das Städtchen
Regnitzlosau mit seinem Ortsteil Prex befinden sich in unmittelbarer Nähe zu
diesem historisch bedeutsamen Territorium. Früher, im 19. und 20. Jahrhundert
hatte dieser Grenzpunkt den Beinamen „Dreikönigreicheck“.Logischerweise grenzten drei Königreiche
aneinander, exakt wie die Beteiligten zu Zeiten jenes Kalten Krieges. Das
Königreich Bayern, das böhmische Königreich
und das Königreich Sachsen. Daher wurde auf diese Grenze nach dem
Zweiten Weltkrieg und nach der Wiedervereinigung 1990 zurückgegriffen. Sie
bestehen heute noch. Nämlich die zu Tschechien und die zwischen den
Bundesländern Bayern und Sachsen. Der Unterschied ist aber gewaltig. Seit Tschechiens
Beitritt zur Europäischen Union im
Jahre 2007 und dem Schengener Abkommen ist der Übertritt unkompliziert möglich.
Keine Zollkontrolle. Keine Ausweiskontrolle.
In einem Tal befindet sich das besagte Dreiländereck. Von
der bayerischen Seite aus erreicht man direkt mit dem Automobil den
Grenzbereich. Der Weg führt uns an einem Soldatengrab vorbei, ein
Blick zum Grenzbereich |
„Namenloser“,
ein „Unbekannter“. Ein Kreuz, Blumen und ein typischer Soldatenhelm schmücken
das Grab.
Der Blick richtet sich nach vorne, kleine Holzbrücken sind
schon zu erkennen, auch ohne Brille. Absolute Stille, keine Menschen, kein
Lärm. Nur Vogelgezwitscher. Pure Natur. Kein Wunder, das gesamte Areal ist als
Naturschutzgebiet gekennzeichnet. Der Grenzstreifen hat sich in den 40 Jahren
zu einem einzigartigen, unberührten Naturraum kultiviert. Heute als das grüne
Band allseits bekannt. So auch hier.
Die Regnitz begegnet uns, die wir über eine Holzbrücke
überqueren. Vor ihr treffen wir schon auf die erste Staatsgrenze. Wir gehen von
dem bayerischen Deutschland in den Nachbarstaat Tschechien. Die Schilder
„Staatsgrenze“ mit weiß-blauen Hintergrund und das mit dem Wappen unseres
Nachbarn. Die kleine Regnitz, ein idyllischer Fluss. Sie entsteht durch den
Zusammenfluss des Zinnbaches und des Ziegenbaches nahe Huschermühle, ihr Ende
findet sie nahe dem oberfränkischen Hof,
in der Mündung in die Saale. Dort steht heute nur noch ein verlassenes,
heruntergekommenes Haus. Der Fluss bildet seit seiner Entstehung die natürliche
Grenze zwischen Deutschland und Tschechien, bis zum Dreiländereck. Danach ist
sie endgültig deutsch. Eine großartige Landschaft mit sehr viel Wald und
riesigen Grünflächen in einem hügeligen Terrain. Wieder diese Abgeschiedenheit,
diese Ruhe. Die Südliche Regnitz, so die genaue Bezeichnung, hatte bis Ende der
1950er Jahre angeblich den größten Perlmuttbestand in Mitteleuropa. Es zeigt,
welch Natur im Dreiländereck existiert. Unberührt. Der Flusslauf mit einer
niedrigen Fließgeschwindigkeit ist wild und naturnah. Bäume stellen sich in den Weg. Lebensraum
für unzählige Tiere und Organismen. Das ist förmlich spürbar. Den eigentlichen
Marginalpunkt, der Dreiländerpunkt, bildet der Mühlbach. Ein Steg führt über
das kleine Rinnsal, direkt neben der Regnitz. Wir befinden exakt an dem
Grenzpunkt, wo sich die ehemaligen
Königreiche Bayern, Böhmen und Sachsen, die heutigen Bundesländer Bayern und
Sachsen sowie der Nachbarstaat Tschechien aufeinander treffen. Die Grenzsteine
in strahlendem Weiß markieren die Grenze. Die Initialen mit den jeweiligen
Buchstaben „B“ für Bayern, „C“ für Tschechien und das „S“ steht natürlich für
Sachsen. Sie sind exakt auf der Staatsline platziert, alle paar Meter, haben
diese Art Strich auf dem Kopf. Voraussetzung dabei ist von oben darauf zu
schauen. Allerdings sind sie seitlich auch angebracht. Sie sind dem jeweiligem
Land zugewandt und weisen daher auf das Hoheitsgebiet. Unter den Buchstaben
kann man die Zahl 1844 nicht übersehen, die auf die letzte
Territoriumsveränderung der Markierungslinie hinweist. So erkläre ich mir das
jedenfalls. Wird stimmen, denke ich. Früher soll es hier eine Siedlung gegeben haben
mit Wirthausverkehr, davon ist nicht
mehr viel zu sehen. Spätestes zur Abschottung der SED-Diktatur wurden ganze
Familien ins Hinterland verfrachtet. Wieder dieses grausame Schicksal, das
tausende Familien nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze teilen.
Aber verblüfft und erstaunt über diese Natur. Es ist
wunderschön hier. Wir setzen uns auf eine der überdachten Bänke auf böhmischer
Seite, schauen hinab zu den Grenzpunkten, vielmehr aber zu dieser Landschaft,
die Sonnenstrahlen blinzeln durch die Bäume. Das Wasser spiegelt sich. Wie im
Bilderbuch. Wir genießen, verweilen, blicken in die Ferne über die grünen
Felder hinweg. Unter dem Dach der Holzbank finden wir eine kleine Tasche mit
dem Inhalt eines Gästebuches. Stifte liegen bei. Sogar ein Stempel. Logisch, da
lassen wir uns nicht zweimal bitten und hinterlassen unsere Grußbotschaft. Komisch,
spielerisch irgendwie, selbstverständlich für einen, seltsam. Heute gibt es keine Überbleibsel mehr vom
„Eisernen Vorhang“. Keine Häuser, keine Zäune, keine Pfähle, keine Mauer, nur
die Grenzsteine.
Nichts sieht man mehr von dem Hochwasser aus dem Juni
vergangenen Jahres, als hier alles unter Wasser stand, teilweise bis zu einem
Meter über den Boden. Ein krasser Gegensatz zu dem Bild, welches sich vor
meinen Augen auftut. Hier, so zart, so unschuldig, dort die Urgewalt, die
Kraft, das Wilde. Das vergisst man leicht, die Informationstafeln bringen uns
die Erinnerung wieder zurück. Rückstande oder Altlasten davon sind nicht mehr
zu sehen. Die Natur hat sich beruhigt und erholt.
Total beeindruckt gehen wir wieder Richtung Auto, machen uns
so langsam auf den Heimweg. Die Abendsonne hüllt diese Gegend in ein Paradies
für Naturfreunde und Naturgenießer mit einem wichtigen Hintergrund, der
Geschichte unseres Kontinents, unseres Landes, unserer Teilung.