Niederschlesien ist groß. Einst war es
eine Provinz im preußischen Staatsgebiet, heute erstreckt es sich
über zwei Länder. Die Neiße ist nicht nur die Grenze zwischen
beiden Staaten, sie teilt ebenso das niederschlesische Gebiet auf.
Die deutsche Seite und die polnische Seite Niederschlesiens.
Das deutsche Niederschlesien umfasst
weite Gebiete der Oberlausitz, von Görlitz bis Bautzen. Doch das
interessiert uns heute weniger. Polens Niederschlesien steht auf dem
Plan. Rechts der Neiße.
Hinter Zgorgolec, der Grenzpartnerstadt
von Görlitz geht es los. Früh morgens. Hell ist es zumindest. Der
Nebel hängt über den Wäldern und Federn. Das Düstere, das
Mystische hält Einzug. So wie die Klischees oftmals über Polen
vorherrschen. So wie man sich das Land eben vorstellt.
24km sind es ab der deutsch-polnischen
Grenze bis zur nächstgrößeren Stadt Luban. Immer auf der
Bundesstraße 30 entlang. Ziemlich rasch erreichen wir die nächste
Stadt.
Luban, die 20000 Einwohner-Stadt. Wir
machen einen kurzen Break in der größten Stadt der Region. Die
Dreifaltigkeitskirche ist das prägendste Bauwerk. Ein hoch
aufragendes Gotteshaus im neugotischen Stil, von Weitem bereits
sichtbar. Luban ist eine Stadt von historischem Wert. Auch wenn das
heute in den Bauwerken nicht mehr wirklich sichtbar ist. Seit 1346
gehörte man dem Oberlausitzer Sechsstädtebund an. Mit Kamenz,
Löbau, Bautzen, Görlitz und Zittau bildete man eine starke Allianz,
die eine gute wirtschaftliche Entwicklung mit sich brachte. Im Laufe
der Jahre wurde die Stadt häufig Opfer von Kriegen und Besetzungen.
Auch beim Kampf der Katholiken gegen die Evangelisten. Mit dem Wiener
Kongress 1815 fiel Schlesien und damit Luban an die Preußen. Die
Stadt entwickelte sich zum Zentrum der Produktion von Taschentüchern.
Alles für die Nase. Im Zweiten Weltkrieg wurde Luban zu 60 Prozent
zerstört, den Deutschen zu verdanken. Fast ein kompletter
Wiederaufbau war nötig. Der sozialistische Einfluss inklusive. Er
prägt.
Aufmerksam werden wir auf einen
Samstagsmarkt. Viele Leute strömen zu ihm. Wir auch. Ein kurzer
Abstecher in die polnische Kultur. Der Markt sieht anders aus wie bei
uns. Vom Obst über Kleidung bis zur blinkenden Ramschware werden
jegliche Artikel angeboten. Gut besucht ist der Markt, wird von Jung
und Alt bevölkert. Die Autos stehen in Hülle und Fülle vor dem
eingezäunten Gebiet. Die vollen Tüten werden hinaus getragen.
Wir passieren kleine Dörfer, winzige
Siedlungen. Verlassene Häuser, einsame Höfe sind an der
Tagesordnung. Das Vieh grast auf der Weide. Autohändler an
Autohändler reihen sich. Ab und an trifft man auf mittelständische
Betriebe. Doch mehrheitlich sind nur Wiesen, Weideland und Wälder zu
sehen. Einfaches Leben, die Einheimischen versuchen zu überleben.
Mittlerweile sind wir nur noch 20km vom
Riesengebirge entfernt. Die Silhouetten der Berge sind bereits
erkennbar. Jelenia Gorav gilt als Hauptstadt des Riesengebirges.
Dementsprechend hat die Nationalparkverwaltung des polnischen Anteils
am hohen Mittelgebirge ihren Sitz. Auch ein Museum über des
Riesengebirge ist hier zu finden. Jahrhundertelang war die Stadt
deutsch geprägt. Seit dem Wiener Kongress. Fabriken in der Leinen-
oder Papierindustrie entstanden. Mehr und mehr entwickelte sich
Jelenia Gora zum Touristenort.
Zentrum der Altstadt ist der Rynek. Die
umgebenden Bürgerhäuser mit den charakteristischen gewölbten
Laubengängen verleihen dem Gesamtbild besonderen Glanz. Die barocken
und klassizistischen Elemente mit den unterschiedlichen sanften
Fassadenfarben haben maßgeblichen Anteil daran. Sie wurden in den
60er Jahren aufwendig rekonstruiert, nachdem sie zuvor dem Verfall
preisgegeben waren. Je nach Handwerk waren diese Lauben
unterschiedlich architektonisch erbaut. Die reichsten Einwohner
Jelenia Goras wohnten einst hier. Das barocke Rathaus aus dem 18.
Jahrhundert komplettiert das Ensemble. Hinter dem Rathaus steht quer
über dem Gehsteig eine ausrangierte Straßenbahn. Eine Art
Touristeninformation ist darin untergebracht. Karten, Broschüren,
Handbücher oder Postkarten können erworben werden. Wir holen uns
jeweils eine Postkarte. Von dort aus beginnt unser Streifzug durch
die beachtliche, sympathische Altstadt. Eine belebte Stadt, die von
einigen Touristengruppen bevölkert. Die Einheimischen strömen in
die Geschäfte. Sieht man, an den zahlreichen größeren Gruppen.
Geschäfte links und rechts säumen die Flaniermeile. Einige
versuchen ihr frisches Obst und Gemüse unter die Leute zu bringen.
Automatisch trifft man auf die
katholische Pfarrkirche St. Erasmus und Pankratius von Jelenia Gora.
Im 14. Jahrhundert wurde sie einst als evangelische Kirche neu
erbaut.
Am Ende jener Fußgängerzone treffen
wir auf ein monumentales Gotteshaus. Imposant groß. Die Hirschberger
Gnadenkirche. Schwierig, sie aus einer Perspektive auf eine Foto zu
bekommen. Papst Johannes Paul II. verteilte vor der Kirche seinen
Segen. Die Statue des Papstes darf nicht fehlen. Rund um das
Gnadenhaus ist ein Gnadenfriedhof angelegt. Eine Mauer aus 19 Gruften
von Patrizierfamilien begrenzen diesen fast weitläufigen Park. Sie
strahlen in hellem Glanz, wurden erst restauriert.
Nach knapp einer Stunde geht es zurück
zum unbetonierten Parkplatz am Burgtor, dem Überbleibsel einer
mittelalterlichen Befestigungsanlage.
Das flache Tiefland, in der sich
Jelenia Gora befindet, trägt den Namen der Stadt. Den deutschen
Namen. Das Hirschberger Tal. Hirschberg, der deutsche Namen Jelenia
Goras. Eingekesselt vom Isergebirge, dem bereits erwähnten
Riesengebirge und dem Landeshuter Kamm. Innerhalb der Sudeten einer
der größten Beckenlandschaften. Nicht schwer, viele gibt es ja
nicht. Schon die Preußen entdeckten das Hirschberger Tal für sich.
Der Hochadel genauer gesagt. Der errichtete sich prachtvolle
Schlösser, Burgen und Landsitze. Darunter Residenzen des preußischen
Königs Friedrich Wilhelm. In vielen Orten sind diese noch erhalten.
Manche in Privatbesitz und bestens in Schuss, werden als Hotels
betrieben, andere sind leider verfallen. An die 300 sollen es
insgesamt sein.
Eines von diesen unzähligen Schlössern
steht im Kurort Bad Warmbrunn. Das Herzstück der Promenade, das
Zentrum dieses kleinen Kurortes. Eines der ältesten in Schlesien.
Über Jahrhunderte hinweg ist es für die radiumhaltigen und heißen
Schwefelquellen bekannt. Mit einer Hitze von bis zu 90 Grad Celsius
verfügt es über eine Heilkraft von speziell Nieren-, Harnweg- oder
Rheumaerkrankungen. Schon im Mittelalter entstanden erste Bade- und
Heilanlagen. Große Persönlichkeiten kamen daraufhin. Maler Caspar
David Friedrich oder der Dichter des Textes der deutschen
Nationalhymne schuf, Hoffmann von Fallersleben. Nicht schlecht. Im
19. Jahrhundert wurden die Anlagen modernisiert, teilweise ersetzt.
Aus der ehemals eigenständigen Stadt
ist heute ein Stadtteil Jelenia Goras geworden. Eingemeindet, die
Fläche nahtlos zugepflastert. Das wirkt sich spürbar auf den Kurort
aus. Von Erholung können wir auf den ersten Blick nichts wahrnehmen.
Auf den zweiten ebenso wenig. Liegt an der Luft. Die
Feinstaubpartikel sind immens. Nicht nur der Nebel macht die Luft so
diesig, der Smog steuert einen großen Anteil bei. Es riecht nach
Abgas. Das Atmen fällt schwer, die Lunge wird nicht frei. Sie drückt
auf das Gemüt und auf den Schädel. Kopfschmerzen. Der Sinn eines
Kurortes ist irgendwie verfehlt. Wir laufen kurz durch das kleine
Zentrum, dass die Promenade Plac Piastowski, die sich an der schmalen
Brücke über dem Flüsschen Wrozowska entlang zieht, hauptsächlich
ist. An der ockerfarbenen, neu sanierten Kirche vorbei. Seit 1774
findet die evangelische Pfarrkirche im Rokoko-Stil an diesem Platz
ihren Standort. Ein Brotwagen parkt gerade davor, der Bäcker bietet
seine Waren an.
Nur wenige Meter später trifft man auf
das eben erwähnte Schloss. Ein prächtiges Palais, so nennt man es
wohl, dass in feinem Glanz erstrahlt. Erbaut wurde es, von 1784 bis
1809 in hufeisenartiger Form, von den Schaffgotsch. Ein schlesisches
Adelsgeschlecht, die um 1675 die Stadt für sich als Hauptsitz
entdeckten. Dementsprechend taten sie viel für den Ort. Die
Technische Hochschule von Breslau hat im Schaffgotschen Palais eine
Außenstelle eingerichtet. Sinnvolle Verwendung.
Gegenüber erstrecken sich die Läden,
Cafes, Restaurants und Geschäfte, die die Flaniermeile mit Leben
füllen. Komischerweise heute nicht, möge am leicht einsetzenden
Nieselregen und an der Luft liegen. Vielleicht. Manche Häuser
vermitteln durch ihre warmen Farben einen charmanten Charakter,
können auf ein beachtliches Alter verweisen. Bei anderen dringt
vermeintlich die sozialistische Ader hervor. Nach dem Motto:
quadratisch, praktisch, gut. Von den Hinterhöfen ganz zu schweigen.
Der Blick auf die katholische Pfarrkirche gen Westen des Plac
Piastowski ist unverkennbar. Die Grabplatten der Familie Schaffgotsch
sind in der Wand eingemauert, wenn auch heute nicht mehr allzu gut
lesbar.
Hinter dem eindrucksvollen Schloss
erstreckt sich der großflächige Kurpark. Einladend zum Spazieren.
Große Wiesen, breit angelegte Wege. Auf einer der Parkbänke kann
man zur Ruhe kommen. Inmitten des Parks, der seit den 1830er Jahren
im englischen Stil angelegt ist, befindet sich das Kurhaus. Ein Cafe
ist darin beheimatet. Daneben gibt es eine Bühne, auf der in den
Sommermonaten regelmäßig Konzerte und Aufführungen stattfinden. An
den Kurpark schließt sich der Norwegische Park nahtlos an, früher
soll er Füllnerpark geheißen haben. Im dortigen Blockhaus befindet
sich ein Naturwissenschaftliches Museum. Viel Oase meint man. Doch
eine Kleinigkeit stimmt nicht. Man fühlt sich selbst nicht wie in
einem Kurort. Der ohrenbetäubende Lärm von der Bundesstraße
nebenan, die mit hohen Feinstaub belastete Luft drückt auf den Kopf.
Nicht erholend. Dabei ist Bad Warmbrunn, das im Polnischen Cieplice
Zdroj heißt, einer der traditionsreichsten Kurorte Schlesien. Wir
werden nicht so wirklich warm hier.
Karpacz ist auf unser heutigen Tour
unser nächstes Ziel. Auf dem Weg dorthin passieren wir den Ort
Podgozyn. Es liegt im Übergang zwischen dem Hirschberger Tal und dem
Gebiet des Riesengebirges. Teilweise ziert eine Eichenallee die
Straße.
Nördlich von Podgozyn fallen uns
einige aneinandergereihten Teiche ins Auge. Die miteinander
verbundenen Fischteiche sollen auf das 13. Jahrhundert zurückgehen,
eine herausragende Besonderheit. Südlich, dem bei einigen Touristen
beliebten Ort liegt der Sosnowka-Talsperre. Ein kleiner See, nur
1,5km lang.
Karpacz ist der größte Ort im
Riesengebirge, auf polnischer Seite wohlgemerkt. Er erstreckt sich
mit seinen 5000 Einwohnern langgezogen am Berghang. Mit einer Höhe
von 500 bis 800m verfügt der Ort allerdings über eine geringe
Garantie der Schneesicherheit. Das merken wir, nichts ist von einer
weißen Pracht zu sehen. Nur der Kunstschnee lässt Skifahren zu.
Der Lift, der unmittelbar im Ort endet, ist geöffnet. Die
Skibegeisterten stürzen sich die sanften Pisten hinunter.
Nichtsdestotrotz gehört es mit
Szlarska Poreba zu den wichtigsten Tourismuszentrum der Region. Fast
9000 Betten stehen den Urlaubern für die Übernachtung zur
Verfügung. Das große Plus Karpacz ist die Lage. Ein idealer
Ausgangspunkt für Ausflüge ins Riesengebirge. Wandern,
Mountainbiking oder Skifahren. Einst wurde der Ort mit dem deutschen
Namen Krummhübel bekannt durch den Abbau von Blei, Eisen und
Edelsteinen. Für negative Schlagzeilen sorgte man im Zweiten
Weltkrieg, als ein Zentrum der Nationalsozialisten im schlesischen
Provinzgebiet. Juden wurden enteignet.
Die Kirche Wang ist das attraktivste
und herausragendste Bauwerk. Mit Abstand und ohne jeden Zweifel. Eine
Kirche aus Holz. Preußens König Friedrich Wilhelm IV. erwarb sie in
Oslo und ließ sie nach Berlin bringen. Der Plan, sie dort weder
aufzubauen, scheiterte. Also kam sie auf Drängen von Frederike von
Reden nach Krummhübel. Feierliche Eröffnung war dann 1844. Eine Touristenattraktion seinesgleichen.
Das charakteristisches Gotteshaus
besteht aus einen vierstufigen Aufbau. Die drei Portale sind von
großem künstlerischen Wert. Einzig der Glockenturm wurde aus Stein
erbaut, der Schutz vor den Gebirgswinden hat Vorrang.
Im Inneren wirkt sich die Kraft des
Holzes vollends aus. Beeindruckend. Das Holz knarzt unter den Füßen,
die Wandvertäfelungen glänzen im elektrischen Licht. Vor uns der
recht einfache Altar, hinter uns die Orgel auf der Empore. Wir setzen
uns auf einen der Stühle, lassen das Ganze auf uns wirken, schauen
uns in Ruhe um. Der Platz im Innenraum ist eng bemessen.
Wir sind neugierig. Ein Laubengang
führt rundherum. Wir gehen ihn ab, blicken durch die
Rundbogenfenster nach innen. Der Laubengang wird für den Ausgang
genutzt. Ein touristischer Kreislauf. An frequentierten Tagen
definitiv erforderlich.
Neben der Kirche befindet sich ein
Friedhof. Die Grabsteine haben zum Großteil deutsche Namen
eingraviert. 1944 wurde er angelegt. Zwei Jahre später wurde er
nicht mehr benutzt. Bis 2001. Da wurde das Verbot aufgehoben. Daher
die neuen und sehr gut erhaltenen Grabsteine.
Normalerweise hat man von hier eine
grandiose Sicht ins Hirschberger Tal. Heute nicht, dichter Nebel
verhindert das. Schade.
Es geht quer parallel zum Riesengebirge
in Richtung Szlarska Poreba. Links die Berge des Riesengebirges,
rechts die Weiten des Hirschberger Tals. In Piechowice geht es für
uns nicht weiter. Eine Brücke über ein mickriges Flüsschen wird
saniert. Eine Umleitung ist nicht ausgeschrieben. Wir schauen in den
Atlas und ins Navigationsgerät, suchen nach einer Alternative.
Plötzlich klopf es an der Scheibe. Eine alte Frau lächelt uns an.
Völlig überrascht und erschrocken sind wir. Wir lassen das Fenster
etwas ängstlich herunter. Sie will uns helfen. Mit einem Mix aus
Deutsch und Englisch kann sie uns weiterhelfen. Ein lustiger und
charmanter „Zwischenfall“. Artig bedanken wir uns.
Szlarska Poreba, fast ein
Zungenbrecher. Auf deutsch ist es einfacher: Schreiberhau. Gelegen am
Nordhang des Riesengebirges, direkt am Neuweltpass. Das polnische
Wintersportzentrum des Riesengebirges. Nur sehen wir nicht viel von
den 7000-Einwohner-Stadt. Der Nebel gibt uns keine Chance. Unmöglich.
Es bringt nichts. Das Haus vom hier wirkenden Schriftsteller des
Naturalismus Gerhart Hauptmann können wir uns schenken. Wie die
anderen Gebäude und Attraktionen auch. Szlarska Poreba steht nicht
nur für Wintersport, ein Langlauf-Weltcup fand 2014 statt, sondern
hauptsächlich für die Outdoor-Sportarten in den Sommermonaten.
Mountainbiking und Wandern in der umliegenden Natur mit dem riesigen
Wegenetz stehen ganz oben in der Rangliste. In der Vergangenheit war
es ein traditionsreicher Ort der Glasindustrie. Über Jahrhunderte
hinweg prägte dieses wertvolle Handwerk das Leben der Menschen in
Schreiberhau. Neugierig hat sie mich gemacht, die Stadt Szlarska
Poreba. Ich werde wiederkommen.
Damit neigt sich die erste Etappe
unserer Reise dem Ende entgegen. Einen Teil Niederschlesiens lassen
wir nun hinter uns.Eine ländlich geprägte Region. Strukturschwach
heiß das im politisch korrekten Fachjargon. Eine Urtümlichkeit hat
sich der Landstrich bewahrt, eine gewisse Rauh- und Wildheit ist
nicht von der Hand zu weisen.
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