Auschwitz-Birkenau. Nur drei Kilometer
entfernt. Wir befinden uns im Gemeindegebiet von Brzezinka, zu
deutsch: Birkenau.
Das Gebäude, durch den die
Deportationszüge eingerollt sind, ist weltbekannt. Jeder kennt davon
Bilder oder Filmaufnahmen. Nur mit der Realität nicht vergleichbar.
Viel grausamer. Fast Schockstarre bei uns.
Das Gelände ist
riesengroß, beinah untertrieben. 175 Hektar. Es sprengt jegliche
Vorstellungen. Das Ende kann man schwerlich erkennen. Unglaublich,
wirklich.
Der Großteil der Baracken steht gar
nicht mehr, 300 waren das einmal. Nur noch die Umrisse, die Kamine
und Schornsteine davon sind übrig geblieben. Die aber zu tausenden.
Das Lagertor ist das Sinnbild für das
komplette Areal des Vernichtungslagers Auschwitz. Dieses Gebäude
ging und geht um die Welt. Jeder verbindet es mit dem größten Lager
zur Ermordung Millionen von Menschen durch die Nationalsozialisten.
1941 wurde es auf Befehl von Heinrich Himmler aus dem Boden
gestampft. Dorfbewohner mussten dafür ihre Häuser verlassen.
Zunächst war es für 100000 sowjetische Kriegsgefangene gedacht,
sollte sogar nur eine Art Arbeitslager sein. Doch es kam anders.
Allmählich entwickelte es sich zum Vernichtungslager. Bis 1944 kamen
die Häftlinge nach tagelangem Transport in Güterwaggons im Bahnhof
Auschwitz an. Unter menschenunwürdigen Bedingungen wurden sie die
drei Kilometer ins Lager getrieben. Viele überlebten das, durch die
Schwächung der Reise, nicht. Danach wurde das Gleis direkt in das
Lager gebaut. Direkt in den Tod. Es läuft uns schaurig den Rücken
hinunter. Wir haben Gänsehaut und spüren ganz viel Demut in uns.
Irgendwie auch Schuld, als Deutscher.
Nach dem Tor gehen wir
zuerst nach rechts. Außen fahren die Autos auf der Landstraße
selbstverständlich vorbei. Nur der drei Meter hohe, doppelte
Stacheldraht dazwischen. Einige Musterbaracken stehen an dieser
Stelle, die man betreten darf. Fluchtversuche waren quasi unmöglich.
Einige schafften es dennoch, wie durch ein Wunder. Klappte das nicht,
war es der sichere Tod für sich selbst und für andere Mithäftlinge.
Eine Handvoll Baracken sind auf dieser Seite noch erhalten. Zwei von
ihnen stehen zu Besichtigung zur Verfügung. Im Inneren stockt uns
der Atem. Der Wind pfeift durch das Ziegelmauerwerk. Es ist kaum
geschützter wie draußen. Nur der Kamin könnte wärmen. Massen an
Häftlingen lebten in so einer Baracke. Zu fünft in einem Bett, auf
dem Boden aneinandergereiht, beinahe übereinander. Grausam. Hinter
jenen Baracken blicken wir über endlose Schornsteine und Kamine
hinweg. Das Ende ist gar nicht sichtbar. Das macht uns Angst.
Wir
laufen wieder zum Gleis zurück, der zentralen Marginallinie. Das
omnipräsente Lagertor hinter uns im Rücken. Immer wieder drehen wir
uns um.. Links und rechts waren die Häftlingsbaracken. Ungefähr in
der Mitte steht ein Waggon. Ein Güterwaggon, aus jenen Zeiten, in
denen die Deportierten transportiert wurden. Viele überstanden schon
gar nicht die Überfahrt.Ohne Wasser, ohne Essen, eingepfercht mit
hunderten Leidensgefährten kein Wunder. Erneut biegen wir nach
rechts, über die Gleise. Ein holpriger, unbefestigter Weg führt
geradeaus. Links und rechts massive Stacheldrahtzäune. Eine Rose
steckt darin. Eine verwelkte. Ganz allein. Irgendwie sinnbildlich,
ein Bild mit melancholischen Symbolcharakter. Das gute vergeht, das
grausame bleibt in Resten immer erhalten, so könnte man es fast
interpretieren. Dahinter sind die,bereits erwähnten, übrig
gebliebenen Schornsteine der Unterkunftsbaracken. Die Umrisse sind
noch deutlich zu sehen. Links wie rechts. Hunderte.
Zurück auf bzw. an den Gleisen. Das
Lagertor entfernt sich mehr und mehr von uns. Eine Fotostrecke machen
wir. Alle 50, 60 oder 100 Meter schießen wir ein Bild. Körperlich
entfernt es sich, die Wirkung bleibt, verstärkt sich eher mit
zunehmender Entfernung.
Am Ende der Ausladerampe treffen wir
auf das monumentale, internationale Mahnmal. 1967 wurde es zur
Erinnerung an die Opfer des vernichtenden Faschismus feierlich
eröffnet.Vor allem die betroffenen Nationen wie Großbritannien,
Frankreich, Spanien, Polen, Griechenland, Ungarn und das schuldige
Deutschland würdigen mit verschiedenen Gedenktafeln und Inschriften
den getöteten Menschen. Der Blick vom Mahnmal zum Lagertor. Peripher
links und rechts die Baracken und ihre Überbleibsel. Gänsehaut.
Beklemmendes Gefühl.
Rechts und links treffen wir nun auf
jeweils eine zusammengebrochene Ruine. Die Gaskammern und
Krematorien des Lagers. Die Nazis sprengten sie vor der Eroberung der
roten Armee. Teilweise taten das auch jüdische Häftlinge nach der
Befreiung. Nichts wurde an ihnen seit den 50er Jahren verändert. Die
übrig gebliebenen Mauern verfehlen nicht ihre Wirkung. Ursprünglich
waren
es vier Krematorien, die im ersten Halbjahr 1943 in Betrieb
gingen. Im Untergeschoss waren die Gaskammern installiert. Die
Umrisse und die Anordnung sind erhalten. Millionen von Menschen
starben in den Kammern. Statt Wasser kam Gas mit tödlicher Wirkung
aus den Brausen an der Decke. Grausame Vorstellung.
Das Ende unseres Rundweges ist noch
lange nicht in Sicht. Eine neugierige, kleine Asiatin begleitet uns
die ganze Zeit. Genauso wissensdurstig wie wir. Nur sie hat das
iPhone, wir die Kamera zum knipsen. Sie fotografiert alles, jedes
Schild, jede Tafel. Minutiös. Zur Nachbetrachtung
wahrscheinlich.
Wieder geht es rechter Hand weiter. Um das
eingestürzte Krematorium herum sehen wir bereits die nächsten
Mauern und Gebäude. Die Ziegelsteinmauern in runder Form waren zu
Zeiten des Konzentrationslager eine Art riesiger Wassertank. Wasser
war im Lager Mangelware. Fließendes gab es nicht. Katastrophale
Zustände waren die Folge. Hygiene gab es nicht, die sanitären
Verhältnisse waren menschenunwürdig, damit nicht vorhanden. Eine
riesige Plagean Ratten verschärfte die Gesamtsituation. Krankheiten,
Infektionen bedeuteten den Tod durch Erschießen oder durch die
Gaskammern. Eigens dafür wurden zusätzlich in Bauernhäusern
Gaskammern installiert. Mörderische Maschinerie.
Mittlerweile sind wir im hinteren
Bereich des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau. Direkt vor der
„Sauna“. Dem Gebäude, in der die Menschen nach ihrer Ankunft und
Sektion endgültig ihr Menschenwürde verloren. Entkleidungs- und
Desinfektionsanlage war die offizielle Bezeichnung. Es ist das größte
Gebäude in Auschwitz-Birkenau. 1943, im Dezember, wurde es in
Betrieb genommen. Heute, nach aufwendiger Rekonstruktion, ist es als
Dauerausstellung für die Besucher frei begehbar. Seine Wirkung im
Inneren verfehlt sie nicht. Wir gehen auf einem schmalen Gang,
Geländer trennen uns vom original erhaltenen Betonuntergrund, durch
die offenen Räume, quasi auf jenem Boden, denen 70 Jahre zuvor
Millionen von Menschen hinter sich bringen mussten. 90 % fanden den
Weg in den Tod. Die Räumlichkeiten sind original nachempfunden.
Entkleidung, nackter Körper bedeutet auch nackte Seele. Duschen,
Reinigung. Manchmal heiß, manchmal kalt. Unter Beobachtung der
Wachmannschaft natürlich. Anschließend Häftlingskleidung und
Schuhwerk. „Zivilkleidung“ der Deportierten und die
Häftlingsklamotte sind schonungslos ausgestellt. Von Abteilung zu
Abteilung gelangen wir. Über den Durchgängen steht der Name der
jeweiligen Traktion am Menschen. Haarschneideraum zum Beispiel. Das
Schockierenste kommt nun. Die Enthaarung. Das Gleichmachen aller
Häftlinge. Das Brechen des letzten Funken von Stolz und Ehre in
ihren Seelen. Egal, ob Mann oder Frau. Auf unangenehmster Weise wurde
ihnen die Haare mit den Messer geschoren. Teilweise mit heftigen
Verletzungen. Haare, Berge von Haaren liegen hinter der Glasscheibe
übereinander. Ein Grauen. Die Leere der Räume, die unverputzten
Wände, das Minimalistische. Extrem bedrückend.
Die Tortur hatte jedoch noch kein Ende.
Folter. Physisch wie psychisch. Besonders die Juden hatten eine
Zwischenstation zu absolvieren. Erneute Selektion bei den Lagerärzten
der SS. Arbeitsfähig oder nicht? Geeignet für absurdeste
Experimente? Fiel die Bewertung negativ aus, war der Weg in die
Gaskammer geebnet.
Mit der Registrierung, die Erfassung
persönlicher Daten auf eine Art Personalstammdatenblatt der
Nazi-Zeit, setzte sich die endlose Prozedur fort. Die Krönung ist
die Tätowierung der Häftlingsnummer zur Identifizierung. Eine
Kennzeichnung für das Leben, für alle Überlebenden. Nur in
Auschwitz gab es diesen Vorgang. Nach Abschluss wurden die nun
gebrochenen Menschen, die nur noch ums Überleben kämpften, in ein
Quarantänelager oder direkt in die Häftlingsbaracken verfrachtet.
Ohne Worte. So ergeht es uns in der Sauna. Tiefe Demut.
Vor dem Gebäude wieder diese Ruinen
der ehemaligen Baracken. Das Bild bleibt. Krematorium 5 und 6 stehen
ebenfalls nicht mehr. Sie wurden während des Häftlingsaufstandes
1944 von Juden gesprengt.
Es sind auch die Kleinigkeit, die diese
Völkermordmaschinerie so unglaublich entsetzlich macht. Die
Abflüsse, die Entwässerungsgräben, die Massengräber sowjetischer
Kriegsgefangener oder die Teiche, in denen die Asche der Verbrannten
geschüttet wurde. Dem Besucher bleibt keine Zeit zu Erholung. Jede
Sekunde wird er konfrontiert. Das setzt sich fest.
Zurück am
Denkmal. Die Befreiung
Cameron, der britische Premier, den wir
vorhin bereits an der Todeswand in Auschwitz I gesehen haben,
stattete auch dem zweiten Lager einen kurzen Besuch mit
Kranzniederlegung ab. So schnell er kam, so schnell verschwand er
wieder. Automatisch schielen die Augen zum Lagertor. Wie einprägsam.
Auschwitz-Birkenau gilt als
verheerendstes Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Das liegt
vor allem an der Masse der Getöteten. Mit Abstand wurden in
Auschwitz die meisten aller Menschen im Konzentrationslager ermordet.
Millionen. Nur Mauthausen konnte da mithalten. Die Lage gibt ihr
übriges hinzu. Mitten in der Prärie setzte man eine
Tötungsmaschinerie sondersgleichen in Gang. Es zieht. Der Wind
pfeift. Die Kälte schleicht in die Knochen.
Wir gehen nun zur anderen Seite, an dem
zweiten, gesprengten Krematorium vorbei. Wir gelangen zu den
Wohnbaracken der Häftlinge. Die Hälfte von ihnen ist zugänglich.
Geschlechter wurden strikt getrennt. Ebenso gab es ein Judenlager,
eines für Sinti und Roma oder das theresienstädter Familienlager.
Einige Ziegelsteinwände müssen mit
Hilfe von Holzkonstruktionen gestützt werden. Sie sind ohne
Fundament gebaut worden. Einfach auf den sumpfigen Untergrund
gestellt und gut. Das Innere schockiert. Grausame Zustände, grausame
Bedingungen, in denen die Häftlinge hausen mussten. Fußboden gab es
nicht, festgestampfte Erde verwandelte sich in Morast. Das musste
reichen.
Doppelstockbettenartige Holzbetten, die
verfaulten und schimmelten. Das Holz war morsch. Teilweise mussten
bis zu zehn Leuten darin zusammenpferchen. Bis zu 400 in einer
Baracke.
Horror. Aber was war schon nicht Horror
in jenen Zeiten?!
An den Wänden ist noch zu lesen:"Seid
ruhig!". Aufforderung der Wärter. Wir sind es auch, für einige
Zeit.
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