Mödlareuth, ein 50-Seelendorf an der Grenze von Thüringen zu Bayern. Sachsen ist auch nur einen Steinwurf entfernt. Die wenigen Häuser sind umgeben von blühend gelben Rapsfeldern, saftig grünen Wiesen und Wäldern. Der kleine Tannbach plätschert mitten durch den Ort. Der Dorfteich nebenan. Ruhe, man hört wenig Lärm. Ein verschlafenes Kleinod, abseits von jeglichem Trubel. Unbeschwertes Leben, heile Welt, ein ganz normales Dorf. Denkt man.
Pure Geschichte. Man kann meinen, sie hat mit Mödlareuth
einen bösen Streich gespielt. Ein Schicksal auf Lebzeiten. Symbolisch für die
deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dabei spielt dieser unscheinbare,
idyllische Tannbach eine entscheidende Rolle. Als Grenzfluss teilt er ein Dorf
seit mehr als 400 Jahren. Erst die
Grenze zwischen dem Markgrafentum Bayreuth und der Grafschaft Reuß, ab 1810 zwischen
dem Königreich Bayern und dem Fürstentum Reuß.
Die Menschen lebten zwar in verschiedenen Ländern auf dem Papier, aber
nicht im Alltag. Es gab eine Schule, ein Wirtshaus, für alle Dorfbewohner. Bis
1949 war das Leben kein Problem. Das änderte sich mit der Gründung der beiden deutschen
Staaten, der BRD und der DDR. Der Hintergrund mit der amerikanischen und
sowjetischen Besatzungszone ist allgemein bekannt. Das Überqueren der Grenze,
das Besuchen der Verwandtschaft und der Freunde war nur noch mit Passierschein
möglich. Für mich heute unvorstellbar. Ich bin auch ein „Kind des Ostens“, zwei
Jahre meines Lebens durfte ich die Deutsche Demokratische Republik noch unbewusst
miterleben. Ohne die Öffnung wäre auch ich in meiner Freiheit, in meinem Leben beschränkt.
Ein Wahnsinn. Das Glück, welches wir
heute haben, wird mir im winzigen
Mödlareuth wieder verstärkt bewusst. Das Auto
wird auf dem großen Parkplatz abgestellt, am Ortsausgang in Richtung
Töpen oder Hirschberg. Einige Autos stehen schon da, alle mit ortsfremden Kennzeichen,
wie Bonn, Jena, Leipzig oder Dresden und Chemnitz. Von weiten sehen wir
Menschen das Museumsgelände erkunden.
Die Mauer ist für jeden sichtbar. Sichtbar, wie sie das
Dorf, die Landschaft, das Land trennt. Da geht der Panzer aus alten Militärszeiten direkt
am Parkplatz unter. Wir gehen den Weg der Mauer entlang, vor zur Kasse. Für
drei Euro kann das Freigelände, eine Ausstellung und einen 20 minütigen Film
besucht werden. Dazu müssen wir über den Bach. Eine alte Straßensperrung ist am Ende
der „Brücke“ aufgebaut. Daneben das Ehrendenkmal des bayerischen
Ministerpräsidenten an den „Vater der
Einheit“: Helmut Kohl.
Im Museumsgebäude,
ein Museumsshop ist auch untergebracht, schauen für uns den Film an. Sehr
informativ, kurz und knapp. Man bekommt einen raschen Überblick über die
DDR-Zeit und das Leben mit der Mauer. Schnell war die Zeit vorbei.
Museumseingang |
Zur Ausstellung, eine Etage darüber, müssen wir wieder
hinaus, den Weg noch 20m hoch gehen. Das zwanzigste Jahrhundert wird mir durch nackte
Fakten in Erinnerung gerufen. Vom Beginn
allen Übels, dem ersten Weltkrieg, bis zur Friedenszeit in Europa, der Europäischen
Union. An den an Maschendrahtzaun hängenden Schautafeln kann man diese
ereignisreichen 100 Jahre Geschichte Revue passieren lassen. Eine Auffrischung,
ein Großteil ist ja bekannt, dürfte es zumindest. Im hinteren Teil des großen Raumes sind
verschiedene Utensilien aus der Grenzzeit in diversen Vitrinen präsentiert.
Alte Tretminen, Polizistenkleidung aus beiden deutschen Ländern, ein
Schaumodell des geteilten Mödlareuth und der damalige Grenzzaun und Grenzstein
der DDR. Die Schautafeln über das Leben auf beiden Seiten und dem Zusammenleben
nach der Grenzöffnung zeigen welch Steine diesem kleinen Ort in den Weg gelegt
wurden.
Gegenüber liegt das Depot. Eine Art Ausstellungshalle.
Verschiedene Fahrzeuge aus Ost und West
sind darin in Reihe und Glied platziert.
Ein Großteil darunter sind Polizei- oder Militärfahrzeuge.
Lastkraftwagen, Trabis und Wartburgs, VW Bullis und Jeeps, die nostalgischen
Schwalben und ein ausgedienter Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes. Hineinsetzen
darf man sich nicht, verständlicherweise. Sie befinden sich in einem sehr guten
Zustand. Ob sie noch fahrtüchtig sind ist eine zweite Frage. Kann ich gar nicht
beantworten.
“Little Berlin“
“Little Berlin“ nannten es die Amerikaner. Zwar gab es
keinen Checkpoint, darum ist es umso mehr ein Symbol der deutschen Teilung.
Bestens zu sehen im Freigelände. Ein Ort der Bedrückung, des Mahnens. Ein erheblicher
Teil von der einst 700m langen und 3m hohen Mauer ist noch erhalten, der
weißgestrichene Betonklotz mit einer unfassbaren Stabilität. Ein „antifaschistischer
Schutzwall“ laut damaligen SED-Früher
Walter Ulbricht. Makaber irgendwie. Es ist nicht nur diese politische „Abgrenzung“,
vielmehr diese soziale, gesellschaftliche „Entzweiung“ von Menschen. Familien (!) wurden getrennt, Freundschaften
getrennt. Welch Leid. Erst der Holzbretterzaun ab 1952, später war es ein Maschendrahtzaun,
ab 1966 die bereits erwähnte Betonmauer.
Immer undurchlässiger, immer mehr verbessert. Als man sich anfänglich noch sehen
konnte, durfte man sich nicht mal grüßen, nicht einmal die Hand heben. Selbst
der Blickkontakt galt als sozialistisch untreu. Das ist aber noch nicht alles. Die
Einwohner, die nahe der entstandenen Grenze ihre Heimat hatten, wurden
umgesiedelt. Nicht freiwillig. Zwangsumgesiedelt. Auf Anweisung ins weitere Hinterland
umgefrachtet, die mühevoll aufgebaute Existenz dem Erdboden gleichgemacht. Von heut auf morgen.
Beide Überwachungstürme |
Die beiden Überwachungstürme stehen noch heute in grellem
Weiß. Weiß wie die Unschuld. Beide stehen sich fast gegenüber. Dazwischen nur die
Mauer und die Straße, die entlang des Freigeländes führt. Auf einem von den zwei kraxeln wir mittels
einer Metallleiter hinauf. Aus einer
Höhe von drei Metern hat man einen passablen Überblick über das gesamte
Gelände. Es regnet wieder leicht. Passendes Wetter zu einem nachdenklichen Ort.
Ich schüttele das nicht so einfach ab. Weil ich ein sehr freiheitsliebender Mensch
bin, der gerne reist, der für neue Dinge immer wieder offen ist, der gerne
macht, was er will. Das wäre nur begrenzt möglich gewesen. Dazu noch das Schicksal der hier lebenden
Menschen. Ein Glück, dass das meiner Familie so nicht ergangen ist. Viele alte „Utensilien und Einrichtungen“ sind noch
erhalten. Ein Erdhügelbunker, als
verdeckter Wachpunkt. Eine Hundelaufanlage. Eine Telefonanlage, außer Funktion
natürlich. Die alten Laternen aus DDR-
Zeiten hängen noch heute an ihren Masten. Der Tannbach schlängelt sich unschuldig durch
das Gelände. Die Grenzpfähle stehen heute noch. Auf Ostseite der Pfahl in
Schwarz-Rot-Gold, dahinter die Betonmauer, auf Westseite ein einfaches Hinweisschild
mit der Aufschrift „Landesgrenze“ in Weiß-Blau, dahinter weite saftige Wiesen. Symbolhaft.
Sie kennzeichnen die ehemalige
Staatsgrenze. Der Bach ist so breit, dass man problemlos darüber springen kann.
Er plätschert vor sich hin.
Schautafeln entlang des Weges durch den Grenzpfad erklären
den Besucher die Fakten über die anfängliche Teilung, über das spätere
Zusammenleben hinter der Mauer und natürlich der Fall. Die Grenzöffnung.
Einen Monat nach dem Zusammenbruch der DDR, am 09.12.1989,
öffnete sich auch die Grenze in Mödlareuth. Zum ersten Mal nach 37 Jahren
konnten sich die Menschen wieder in die Arme schließen. Das Ende eins Teils traurigster
deutscher Geschichte. Ein gutes Ende für die Menschen in Deutschland. Bereits
wenige Monate nach der Wende wurde dieses Museum initiiert und bis heute zum
Status als Gedenkstätte ausgebaut. Heute
ist der Ort auch noch geteilt, auf dem Papier aber nur. Das „westliche“
Mödlareuth gehört verwaltungstechnisch zum Freistaat Bayern, der „östliche“ zum
Bundesland Bayern, im Übrigen auch Freistaat. Das kann man, denke ich,
verschmerzen. Den Dorfalltag gestaltet und lebt man gemeinsam.
Ehrendenkmal für Helmut Kohl |
Auf Grund seiner Bedeutung und seiner Geschichte wurde der
Ort immer von bekannten und berühmten Persönlichkeiten besucht, sowohl zu
Zeiten der Teilung, als auch zu Zeiten nach der Grenzöffnung. Darunter zahlreiche
Bundespräsidenten, Generäle und Militärs der Weltmächte. Altbundeskanzler
Helmut Kohl, der „Schaffer der Einheit auf Politikebene“, erhielt vor einigen
Monaten eine Auszeichnung für sein Lebenswerk durch den bayerischen Ministerpräsidenten
Horst Seehofer.
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, Petrus hat sich
wieder beruhigt. Das Kleinod erstrahlt wieder, die Natur blüht, aber die Geschichte
bleibt. Damit auch dieses nachdenkliche Gefühl. Ein Zeugnis der Verbrechen der
Diktatur mit hautnaher Anschauung und hautnahem Erlebnis. Das Museum zeigt
jegliche Facetten und Aspekte. Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich.
Sehr informativ, sehr anschaulich, mit vielen Illustrationen, mit vielen
Reliquien und Erhaltenem aus diesen Zeiten. Wichtiger ist aber dieses Gefühl.
Das Mahnende, das Bedrückende, das Nachdenkliche, welches in mir aufkommt. Ich
hoffe auch für jeden anderen Besucher in diesem Museum, dem Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth.
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