Morgens 9 Uhr bricht der Tag für uns
an. Im Supermarkt Lidl, was sonst, holen wir uns Leckeres zum Beißen.
Der Magen ist nämlich noch leer. Ein Baguette, etwas Aufschnitt und
Kekse. Nach dieser Stärkung fahren wir die nächste Stunde, rund 60
Kilometer, zu den Plitwitzer Seen. Die Wegstrecke dorthin wird
holpriger als gedacht. Auf der hügel- und kurvenreichen Route durch
das Karstgebiet Mittelkroatiens reiht sich Baustelle an Baustelle.
Nicht vergleichbar mit denen in Deutschland. Bei uns ist es so, dass
erst eine Fahrbahnseite fertig gestellt wird, danach folgt die
andere. Logisch, um die Straße nicht komplett sperren zu müssen.
Das kroatische Verständnis ist dagegen konträr. Sie sanieren die
Straße komplett, tragen den gesamten Asphalt ab, walzen daraus eine
Schotterpiste und schicken die Autofahrer während der Bauphase über
diese Piste mit dicken Steinen, fast schon Gesteinsbrocken. Staub
wird meterhoch aufgewirbelt, dass man zwischenzeitlich denkt, man
befindet sich mitten im Sandsturm. Dementsprechend dreckig ist das
Fahrzeug hinterher. Das geht über 10 Kilometer so. Von Abschnitt zu
Abschnitt. Am Ende lassen sie uns noch über frisch geteerten
Asphalt fahren. Das Kleben der Reifen ist im Cockpit förmlich
spürbar. Die Arbeiter schauen uns mit schiefen Augen an. Wahnsinn.
So verschiedenen sind die Ansätze. Bei uns wäre das undenkbar.
Von Korenica sind es noch exakt zehn
Kilometer bis zum Eingang des Nationalparks. Der Durchfahrtsort ist
durchaus belebt, profitiert von der räumlichen Nähe zu den
Plitwitzer Seen. Die dichten Wälder, die das Nationalparkgebiet
umgeben, kommen immer näher. Ebenso die Erhebungen des
Pljesevica-Gebirges, einem Teil des riesigen Dinarischen
Gebirgszuges. Wir befinden uns unweit der Grenze zu
Bosnien-Herzegowina, nur wenige Kilometer sind es in den
Nachbarstaat.
Die Schilder mit Übernachtungsangeboten
überhäufen sich. Appartements und Pensionen sind über all
ausgeschildert. Ich weiß nicht, aber das Angebot übersteigt mit
Sicherheit die Nachfrage. Plitvicza Jezera passieren wir, die direkt
an der Nationalstraße 1, der Verbindung zwischen Karlovac und Zadar
gelegen ist. Die Gemeinde umfasst zahlreiche kleinere Ortschaften
innerhalb der nahen Umgebung des Nationalparks. Wieder Pensionen,
Ferienwohnungen und Hotels an einer Perlenkette aneinandergereiht.
Hier gibt es den ersten Parkplatz für
die Nationalparkgäste. Stellt man sein Fahrzeug hier ab, befindet
man sich etwa auf der Hälfte des Nationalparkareals und steigt somit
auch dort in das Wegenetz ein. Beliebter ist logischerweise der
Haupteingang. 3km der Straßenführung folgen und schon ist das Ziel
erreicht. Parkplätze sind ausreichend vorhanden. Busse, Wohnmobile
und PKWs finden alle ihren Platz. Kostenpflichtig natürlich. Ticket
ziehen und am Ende des Besuches am Kassenhäuschen bezahlen, lautet
die Devise. Es herrscht ordentlich Betrieb. Gott sei Dank nicht zu
voll, die Hochsaison ist noch nicht im Gange. Dann ist Alarm. Bis zu
20000 Gäste strömen pro Tag an Spitzentagen, meist als
Eintagesausflug aus den Ferienorten am Meer kommend und per
Reisebusarmada herüber gekarrt, zu diesem Naturspektakel der
Superlative. Denn das ist es wahrlich. 1949 erhielt es den Status des
Nationalparks. Damit ist er nicht nur der älteste Kroatiens, sondern
auch in Südosteuropa. Gleichzeitig ist er auch mit einer Fläche von
gut 300 Quadratkilometer der Größte des Landes. Die erste
Annäherung zum Fremdenverkehr begann zum Ende des 19. Jahrhunderts
als die Habsburger Kronprinzessin Stephanie von Belgien dieser Region
einen Besuch abstattete. Danach wurden die ersten Hotels und
Pensionen gebaut, das gesamte Gebiet um die Seen wurde zum
Schutzgebiet erklärt. Nutzte nur in manchen Phasen nicht sehr viel.
In den Kriegen wurde darauf nur wenig Rücksicht genommen. Besonders
der Bosnienkrieg von 1991 bis 1995 hatte es in sich. Viele
Nationalparkgebäude wurden zerbombt oder niedergebrannt. Darum wurde
es danach sofort wieder aufgebaut, als eines der ersten Gebiete. Dem
Status als Weltnaturerbe, 1979 als eines der ersten Naturdenkmäler
überhaupt auf die Liste der UNESCO gesetzt, sei Dank.
Seine Bekanntheit hat der Nationalpark
durch die legendären Karl-May-Verfilmungen in den 1960er Jahren
erlangt. Schauspieler Pierre Bris ritt als Winnetou durch die
urwüchsige Landschaft. Ideal als Hintergrundkulisse für das
Western-Epos.
Eine Holzbrücke führt uns über die
Bundesstraße zum Eingang. Vor uns eine Reisegruppe älterer
Senioren. Die brauchen etwas länger. Das Holz schwingt ganz schön.
Irgendwie biegt es sich leicht. Wir stellen uns an, die Schlange ist
nicht lang. Umgerechnet 12 Euro kostet der Eintritt pro Person. Den
Streckenplan gibt es gratis hinzu. Auf geht´s, wir werden ordentlich
Kilometer zurücklegen. Wir sind gut gerüstet. Die bequemen
Laufschuhe werden gegen Fußschmerzen sicher helfen. Die Temperaturen
werden ebenfalls eine Herausforderung. Bei nahezu 30 Grad ist der
Wasserhaushalt natürlich extrem wichtig. Gegen die Sonne hilft ein
Cappie bzw. ein Hut. Die Asiaten schützen sich vor ihr radikal.
Lange Hose, langes Oberteil und ein Hut. Vereinzelte haben sogar
Sonnenschirme dabei. Es ist eben eine andere Kultur. Im Gegensatz zu
uns gilt die Helligkeit ihrer Haut bei ihnen als Schönheitsmerkmal.
Sechs Euro werden wir nachher entlöhnen.
Wir gehen immer der Meute hinterher.
Automatisch ist man zwischen den Gruppen eingekeilt, kann auf Grund
des schmalen Weges nicht langsamere Personen überholen. Es geht
bergab, hinunter zum ersten See. Zwischen den Bäumen kann man den
mächtigen Wasserfall sehen. Von den Aussichtsplattform hat man einen
freien Blick. Die Kraft, mit der das Wasser herunterschießt, ist
gewaltig. Die Gischt spritzt, das Wasser verdampft in der Luft. Wir
sind schon nach wenigen Minuten beeindruckt. So ein Schauspiel haben
wir noch nie gesehen. Dazu später mehr.
Die
unteren Seen liegen eingeschnitten in einem riesigen Canyon. Links
und rechts ragen steile Wände von Kalkstein in die Höhe. Knappe
100m geht es in die Tiefe von unserem Aussichtspunkt. Wir können
erahnen, welch Weite wir erlaufen und genießen können. Ein
atemberaubendes Bild. Das war aber erst der Anfang.
Der Nationalpark ist kaskadenförmig
angeordnet. Insgesamt folgen 16 oberirdische Seen aneinander. Diese
bilden sich aus dem Bach Plitvica, den unzähligen Quellflüssen aus
den umliegenden Gebirgen, den unterirdischen Karstflüssen und dem
Zusammenfluss der Weißen und Schwarzen Rjieka.
Die Seen sind jeweils durch natürliche
Barrieren getrennt. Durch die Ablagerungen des kalkreichen Wassers,
mittels chemischen Prozessen von Algen, Moos und Calciumcarbonat.
Die Barrieren verändern sich von Zeit zu Zeit. Das Fließwasser und
die Vegetation sind durch das ständige Wechselspiel immer in
Bewegung. Darum auch diese unglaublich reiche Pflanzen- und Tierwelt.
Einzigartige Vorgänge, kaum vorstellbar.
Die Wanderung beginnt. Schilf lagt entlang des Weges weit aus dem Wasser heraus. Wir umrunden den
Kaluderovac See rechter Hand, überqueren den Gavanovac-See auf einen
Holzsteg, um den Milonovac-See linksseitig zu umrunden. Am
Gavanovac-See kann man die blaue Grotte und die Supljara-Grotte
bestaunen. Nur kurz vom Hauptweg 50m abzweigen. Die steilen Treppen
hinauf zu kraxeln erfordert körperliches Geschick. Einige, vor allem
betagteren Alters, haben damit kleine Probleme. Viel zu sehen gibt es
dort nicht. Zurück auf dem Hauptweg kommen wir in Berührung mit dem
Wasser. Es tritt teilweise über das Ufer. Aufpassen ist angesagt,
dass man nicht nasse Füße bekommt. Obwohl die Abkühlung sicher gut
tun würde. Wie eine Perlenkette schlängeln sich die Touristen den
Wegen entlang. Lustiges Bild. Einige von ihnen sind besonders bei der
Sache. Um den richtigen Blickwinkel für das Fotomotiv zu haben,
werden gegebenfalls schon einmal Ellbogen ausgefahren oder die ganze
Schlange gerät dadurch ins Stocken.
Die Augen sind nicht nur deswegen weit
offen. Sie wollen jedes Detail neugierig aufsaugen. Diese phänomenale
Natur hat uns komplett in ihren Bann gezogen.
Ein Highlight des Nationalparks ist
sicherlich der Kojzak-See. Einer der größten von den insgesamt 16!
Ja Sechzehn. An der Abfahrts- bzw. Anlegestelle gibt es Bänke und
Tische für eine Rastmöglichkeit. Imbissverpflegung mit Essen und
Trinken inklusive.Wer zu faul ist oder wem der Weg zu
lang ist, den Kojzak-See per Fuß zu umgehen, benutzt das
Elektroboot, welches beide Ufer auf bequemen Weg miteinander
verbindet. Es hat irgendwie etwas Paradiesisches. Wir schippern fast
geräuschlos auf dem See, kommen dem gegenüberliegenden Ufer immer
näher, vorbei an einem kleinen Eiland, erinnert fast an den
Werbespot des Krombacher Bieres aus dem Fernsehen, inmitten des
Gewässers. Das Wasser strahlt in türkisen Farben. Die Enten
schwimmen darin in Kolonnen quer über den See.
Das Baden ist strengstens verboten. 150
Euro Strafe erwarten die Unverbesserlichen, die dagegen verstoßen.
Einen hat es unter unseren Augen erwischt. Er wollte gerade wieder
aus dem Wasser heraus, da steht die Security-Einheit bereits wartend
am Ufer auf ihn. Abgeführt. Generell erweist sich das Areal als sehr geschützt, als sehr umweltgeschützt. Kein Papier, kein Plastik, kein Müll liegt auf den Wegen oder gar im Wasser. Zur Kontrolle laufen Nationalparkmitarbeiter das gesamte Gelände danach ab, leeren gegebenfalls die gefüllten Mülleimer. Alles zu Fuß. Sie legen ordentlich Kilometer während ihrer Arbeitszeit zurück.
Der Holzpfad führt uns weiter über
das Wasser um den Gradinsko See, teilweise durch regenwaldartige
Schilflandschaft. Wir befinden uns in einer deutschen Reisegruppe mit
deutschsprachigen Tourenguide. Mitten unter Ihnen haben wir uns
geschmuggelt. Interessante Infos und Anekdoten erfahren wir so ganz
nebenbei.
Die Luftfeuchtigkeit wird immer höher.
Man schwitzt extrem. Die Kaskaden zwischen Gradinsko und Galovac See
verwandeln diesen Bereich in einen Urwald. Beide Gewässer sind nicht
tief, 15 Meter. Wilde Wasserläufe bahnen sich ihren Weg durch das
Gestein. Kleine Wasserfälle lassen das kristallklare Wasser, in dem
kleinste Äste zu erkennen sind, schäumen. Das Wasser spritzt uns
ins Gesicht. Natürliche Abkühlung nennt man das. Eine wahre
Pflanzen- und Tiervielfalt entfaltet sich, nicht nur hier, im
gesamten Schutzgebiet des Nationalparks. Endemische Pflanzen
darunter, die es nur in dieser Seenlandschaft gibt. Auffällig sind
die Millionen von Fischen, die an der Oberfläche schwimmen. Schwärme
um Schwärme, in jedem See. Wir staunen nur noch. Wir haben solch
Natur noch nie gesehen.
Es geht weiter im Programm. Viele
Besucher brechen nach den Kaskaden ab und machen sich auf den
Rückweg. Es ist ein gehöriger Fußmarsch, das darf man nicht
unterschätzen. Dafür wird es jetzt ruhiger, die Wege sind nicht
mehr so beladen. Wir umrunden den Galovac-See. Der schmale Weg führt
uns direkte am Ufer entlang. Das Wasser droht jeden Moment
überzulaufen. Wenige Zentimeter fehlen nur, dann berührt man das
Wasser. Der Galovacki-Wasserfall ist natürlich schon aus einiger
Entfernung wahrnehmbar. 25m geht es zwischen Wasser- und Graspflanzen
in die Tiefe.
Auf einer Bank am Wegesrand setzen wir
uns, gönnen uns eine Brotzeit, die wir uns als Proviant im Rucksack
vorher mitgenommen haben.
Wir umrunden den Malo See, den Veliko
See und den Okrugljak See. Den Ciginovac lassen wir rechter Hand
liegen. An jedem See können wir den Name, die Länge und Tiefe des jeweiligen Gewässers auf schwarzen Schilder lesen. Somit hat man eine kleine Orientierung, in welchem Abschnitt man sich gerade befindet. eine kleine Hilfestellung mit Informationshintergrund.
Kurz vor dem Ziel durchqueren wir eine
kleine Wald- und Wiesenlandschaft. Das Wasser haben wir immer noch an
unserer rechten Seite. Eine Lichtung mit fantastischen Blick auf den Proscansko See,
der wieder endlos lang zu sein scheint, das Ufer kann man nicht
sehen, bedeutet das Ende. Wir sind am obersten See angekommen. Über
150 Höhenmeter haben wir erklommen, sind nun auf einer Höhe von
639m über Normalnull.
Pause. Wir stärken uns, mampfen unsere
Verpflegung komplett auf. Das Wasser ist auch leer. Die Elektrobahn
bringt die Touristen zu ihren Parkplätzen P1 und P2 zurück oder wir
nehmen den Weg, den wir genommen haben wieder in Kauf. Keine Frage
für uns, nach der Verschnaufpause brechen wir auf, zu Fuß. Die
Highlights ziehen uns an, sie unbedingt ein zweites Mal zu sehen. Die
Galovacki-Wasserfälle, die Kaskaden unterhalb des Galovac-Sees, die
Überfahrt des Kojzak-Sees mit dem Elektroboot. Die Menschen kommen
uns entgegen. Viele von ihnen sind körperlich am Limit. Die
Temperaturen, die Luftfeuchtigkeit und die Streckenlänge sind nicht
zu unterschätzen. Schnaufend fragen sie uns, wie weit es noch zum
Ziel sei. Leider konnten wir sie mit unserer Einschätzung nicht
zusätzlich motivieren. Der Weg kann lang sein.
Rund eine Stunde später sind wir in
der Nähe des großen Wasserfalls. Ein Holzbrückenpfad entlang des
hochaufragenden Karstgesteins führt zu ihm. Der Pfad ist teilweise
von der wilden Wassermasse überschwemmt. Die Plitvica rauscht 78m in
die Koranaschlucht, aus der sich der gleichnamige Fluss seinen
weiteren Verlauf bahnt. Irre Kräfte werden da frei. Die Gischt
spritzt so stark, dass wir 50m entfernt noch die Tropfen auf der Haut
spüren. Fotoshooting. Kreative und auch abstrakte Positionen und
Stellungen werden von den Touristen eingenommen. Ähnlich wie beim
Schiefen Turm in Pisa. Lustiges Schauspiel ist das für uns
unauffällige Beobachter.
Nach über vier Stunden gehen wir den
Weg hinauf zum Haupteingang, den wir heute Vormittag genommen hatten.
Ein letztes Mal genießen wir den Blick in den Canyon. Ein letzter
auf die untere Seenlandschaft und den riesigen Wasserfall. Noch
einmal diese unglaubliche Natur der Superlative. Es ist ein Highlight
in jedem Kroatien-Urlaub. Daher ein unbedingtes Muss.
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