Sanok - erste Station
Sanok, wir sind bereits in den
Waldkarpaten. Im Südosten Polens. Bis zur Slowakei sind es 39km, bis
zur Ukraine sind es 50km. The middle of nowhere würden viele das
bezeichnen. In einer dünn besiedelten Region ist Sanok mit seinen
39000 Einwohnern die größte Stadt.
Der Verkehr staut sich, Schritt für
Schritt kommen wir nur voran. Irgendwie typisch für Polen, die
Straßen sind dem Verkehrsaufkommen nicht angepasst. Über eine halbe
Stunde benötigen wir für die Fahrt in die Innenstadt. Das Wetter
ist heute nicht unser Freund. Das Thermometer zeigt 5 Grad Celsius
an, es regnet leicht. Diese Nasskälte zieht schnell in die Knochen.
Eklig.
Einige historische Bauten zeugen
durchaus von Wohlstand und Reichtum vergangener Tage. Wir beginnen
unseren Stadtrundgang am quadratisch angelegten Rynek. Von stolzen
Bürgerhäusern ist er gesäumt. Das sich dort befindliche Rathaus
stammt aus dem 18. Jahrhundert. Sehr repräsentativ.
Gegenüber liegt das
Franziskanerkloster, inklusive Pfarrkirche. Ein katholisches
Männerkloster, im 14. Jahrhundert gegründet. Ob darin heute noch
Mönche leben, bezweifle ich. Für mich nicht vorstellbar.
Ziemlich rasch, nur wenige Meter vom
Marktplatz entfernt, gelangen wir zur Burg von Sanok. Ursprünglich
erbaute man eine Holzburg, wurde jedoch im 16. Jahrhundert zu einem
Renaissanceschloss ausgebaut. Der polnische König lebte einige Jahre
im Königsschloss, die direkt auf den breit fließenden San hinab
blicken konnten. Heute beherbergt die Burg ein historisches Museum.
Auf einigen Etagen wir eine Ikonensammlung ausgestellt. Es verfügt
über umfangreiche Werke des polnischen Künstlers Zdislaw Beksinski.
Gemälde, Reliefs, Skulpturen, multimediale Aufnahmen befinden sich
darunter. Ein komplettes Lebenswerk.
Von dort aus laufen wir auf der
Flaniermeile Sanoks, der Ulica 3 Maja entlang. Autofreie Zone. Links
und rechts bieten Geschäfte ihre Waren zum Verkauf an. Kleidung,
Juweliere, Optiker, Haushaltsartikel, Buchhandlung oder
Lebensmittelmarkt. Kleine Einzelhandelsgeschäfte. Hauptattraktion
der Flaniermeile ist die Schweijk-Sitzbank. Eine Steinfigur sitzt
genüsslich am Ende der Bank. Es ist ein Soldat, Schweijk heißt er.
Es ist die Hauptfigur aus dem Schelmenroman „Der brave Soldat
Schwejk“ von Jaroslaw Hasek. Darin schlägt sich der typische
Prager Charakter mit Geschick durchs Leben und versucht sich als
Soldat vor dem Kriegseinsatz zu retten. Er steht bzw. sitzt hier als
Symbol für die Verbindung zwischen Sanok und der ehemaligen
österreichischen Monarchie. Klar, wir gesellen uns für wenige
Sekunden zu ihm. Danach wird es uns zu nass.
Eine kleine Altstadt, die aber gut
besucht ist. Die Einheimischen wuseln durch die Läden und über die
Straßen. Autos müssen sich durch enge Straßen hindurch quetschen.
Am Fuß des Stadtparks von Sanok wird
den Toten und Opfern des Ersten Weltkrieges gedacht. Ein
überdimensionales Mahnmal soll immer an die Grauen erinnern.
Dahinter beginnt auf einem Hügel die grüne Oase der Innenstadt
Sanoks. Inmitten des Stadtparks steht ein Telekommunikationsmast, der
aus den Baumwipfeln deutlich herausragt.
Eishockey wird in Sanok, wie in ganz
Polen, groß geschrieben. Die Arena des ortsansässigen Clubs liegt
direkt an Stadtrand, unweit von der Burg Sanoks. Ein
traditionsreicher Verein. Mehrmals konnte man hier die polnische
Eishockeymeisterschaft feiern. Volkssport.
Am Ortsausgang in Richtung Lesko
treffen wir auf eine Fabrikanlage der Firma Autosan. Autosan, hatte
ich vorher schon einmal gehört bzw. gelesen. An den Verkehrsbussen.
Autosan, der größte Omnibushersteller Polens. Daher war mir der
Name ein Begriff. Ursprünglich im sozialistischen Polen zur
Eigenversorgung und Sicherstellung der Infrastruktur gegründet,
hatte man nach dem Fall des Eisernen Vorhanges Probleme sich den
neuen Marktbedingungen anzupassen. Die
Produktpalette und die Technologie
waren veraltet. Nach und nach schaffte man den Umschwung, immer mit
dem Pleitegeier im Nacken. Ein anderer wichtiger Wirtschaftszweig ist
die Chemie- und Gummiproduktion. Ein Arbeitsplatzbewahrer. Die
teilweise monströsen Fabrikanlagen sind ein unpassender Teil der
Landschaft.
Lesko – Zwischenstation zum Solina
Staussee
18km sind es in das südlich gelegen
Lesko. Unser nächster Anlaufpunkt. Eine Stadt mit rund 6000
Einwohnern. Der Kern Leskos liegt auf einer kleinen Erhebung.
Darunter fließt der allgegenwärtige San. Das Schloss mit seinen
Befestigungsmauern sticht sofort ins Auge. Seinen Ursprung fand es im
16. Jahrhundert. Zwischenzeitlich soll es stark verwüstet gewesen
sein. Heute wird es als Hotel genutzt. Sinnvoll. Unweit des Schlosses
ist die spätgotische Kirche ein ansehnliches Gotteshaus. Der
freistehende Glockenturm ist ein Wiedererkennungsmerkmal. Wie aus dem
Ei gepellt. Auf den Zustand der Kirchen in Polen wird streng
geachtet. Östlich des weitgehend unspektakulären Ryneks verweist
die Synagoge auf jüdische Spuren Leskos, die heute als Kunstgalerie
genutzt wird. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von den deutschen
Truppen zerstört, Anfang der 60er Jahre wiederaufgebaut. Der
jüdische Friedhof ist nur einen Katzensprung entfernt. Beinahe 2000
verzierte Grabsteine sind auf ihm zu finden. Die ältesten stammen
aus dem 16. Jahrhundert. Jüdisches Leben war einmal.
Nur kurz halten wir uns auf. Es hält
uns nichts, kein prägender Ort. Passt zu dieser sanften,
beschaulichen Region.
Das Meer der Waldkarapten
Wieder fahren wir südlich, immer näher
dem Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei entgegen.
Der Solina-Stausee. Das Highlight einer
ganzen Region. Der Startschuss in eine zum Großteil unberührte
Natur. 1958 wurde er nach sieben Jahren in Betrieb genommen, der San
wurde angestaut. Dörfer wurden überflutet. Von Solina ist nicht
mehr viel übrig geblieben. Das Dorf erstreckt sich am Nordufer des
Sees. Es ist auch der größte und wichtigste. Um diese Jahreszeit,
es ist bekanntlich Mitte Dezember, ist er ausgestorben. Die Hotels,
die Souvenirbuden, die Bungalows sind verwaist. Kein Leben. Nichts.
Im Sommer oder Frühjahr herrscht hier hoffentlich mehr Betrieb.
Freien Blick auf den See hat man nicht, der Zugang auf die Mauer
bleibt uns verwehrt. Damit auch die Sicht auf das Wasser. Nur die
fulminante Staumauer sehen wir, der wieder extrem breite San zieht
weiter seine Kreise bis ins Karpatenvorland. Es ist der größte
Stausee Polens, 2200 Hektar Fläche sind gewaltig. Wir umfahren ihn,
die Straße führt hauptsächlich auf dem Bergkamm der umliegenden
sanften Erhebungen.
Kurz nach dem Dorf Solina bekommen wir
doch einen ersten Eindruck. Nur nicht von der Straße aus, durch die
Bäume sieht man nicht viel. Wir müssen abenteuerlich den steilen
Abhang hinunter. Kein leichtes Unterfangen. Auf den herabgefallenen,
verwelkten Laubblättern ist die Rutschgefahr um ein Vielfaches
größer. Unten angekommen, entschädigt der Blick durchaus. Die
Weite ist zu erahnen, die umgebende und charakteristische Natur
ebenso.
So fahren wir zum südlichsten Punkt.
Unterwegs passieren wir winzige Dörfer und Siedlungen wie Myczkow,
Polanczyk Wolkowjya. Sie ähneln sich, versuchen jeweils etwas vom
Kuchen des Tourismus ab zu bekommen. Campingplätze, kleine Hotels
und Pension sind in ihnen zu finden. Im Winter jedoch herrscht Ebbe,
die meisten sind im Moment geschlossen. Die Ruhe,die Beschaulichkeit
und die weitläufige, abgeschiedene Landschaft ist verblüffend, sie
ergreift auch uns.
In Gorzanka endet eine Bucht des
Solina-Stausees. Eine Straße führt geradeaus. Durch den Ort, hinaus
in die Natur. Eine schmale Straße, asphaltiert. Häuser begegnen
uns, keine Bruchbuden. Im Gegenteil. Top gepflegt, mitten in der
Einöde. Die Bewohner führen beinahe ein Aussteigerleben.
Handyempfang? Internet? Ich weiß nicht, ob das perfekt in diesen
Gefilden ausgebaut ist. Trotzdem beeindruckend so „einsam“ zu
leben. Die Straße führt durch den Bach, das Wasser bahnt sich
seinen Weg in der Senke über die Betonplatten. Irgendwann endet der
geteerte Bereich, auf unbefestigten Terrain würde es weitergehen.
Schlaglöcher, Hubbel und und und. Wir kehren um. 5 Minuten später
sind wir wieder am See in Gorzanka, fahren weiter durch Bukowiec und
Terka, über den Solinka, der den Stausee mit Wasser versorgt. Die
Landschaft verändert sich nicht. In Rajskie überqueren wir den
breiten San. Auch er fließt in den Solina-See. Den Durchbruch können
wir perfekt sehen.
Der Nebenfluss der Weichsel prägt eine
gesamte Region. In Sanok, Przemysl oder Jaroslaw wird er uns in den
nächsten Tagen erneut begegnen. Allmählich verlassen wir den
Solina-Stausee. Nach wie vor geht es durch nahezu unberührte Natur
in einem dünn besiedelten Landstrich. Kaum ein Auto kommt uns
entgegen, geschweige denn fährt vor oder hinter uns. Nur ein
Ranger-Wagen des Nationalparks absolviert seine Kontrollstreife. Wir
bewegen uns nach Osten, orientieren uns nach
Czarna.
Langsam wird es brenzlig. Der Tank, das
Benzin wird leerer und leerer. Seit einiger Zeit halten wir Ausschau
nach einer Zapfsäule. Vergebens.
Endlich sind wir in Czarna. Die
Tanknadel zeigt schon bedrohlich in Richtung Null. In der kleinen
Ortschaft biegen wir links ab. Rechts würde es ins Bauerndorf
Lutowiska, dort befindet sich der Sitz der Nationalparkverwaltung und
Infozentrum, und Ustryzki Gorne gehen, noch weiter hinein ins
abgeschiedene Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei.
Das Wetter hat sich nicht geändert. Es
regnet leicht, der Himmel ist mit Wolken verhangen. Gott sei Dank
sitzen wir im Auto.
Ustrzyki Dolne - Unweit der Grenze
Letzte Station ist der Ort ganz nahe
der ukrainischen Grenze. Ustrzyki Dolne. Ein komplizierter Name.
Aussprache unmöglich. 9000 Menschen leben hier, in gewisser
Abgeschiedenheit, nach Sanok und Przemysl sind es einige Kilometer.
Ein unspektakulärer Ort. Ganz normal eben. Am Ende Europas. Die
Geschäfte und Supermärkte konzentrieren sich im winzigen
Innenstadtbereich. Der Markt ist die einzig nennenswerte
„Sehenswürdigkeit“. Einfache Wohn- und Bürgerhäuser umgeben
ihn. Ein Naturkundemuseum gib es noch. Mehr nicht.
Trotzdem versucht man die Touristen für
sich zu gewinnen, so für Einkommen der Menschen zu sorgen. Hotels
sind genügend vorhanden, übergroße Werbeplakate weisen darauf
hin.. Im Winter stehen einige Lifte auch für die kurzen
Abfahrtshänge zur Verfügung. Zum Herunterrutschen, mehr nicht.
Voraussetzung ist der Schnee. Der ist noch nicht vom Himmel gefallen.
Auffällig viele Fahrzeuge mit
ukrainischen Kennzeichen fahren durch die Kleinstadt, die sind
umgeben von sanften Bergen der Waldkarpaten. Kein Wunder, wir sind
nur noch 8km von der ukrainischen Grenze entfernt. Zeitgleich dem
Ende der Europäischen Union. Genau dort wollen wir hin.
Grenze Europas
Die acht Kilometer sind schnell
zurückgelegt, rechts hat uns das stark verschmutzte Flüsschen
Strwiaz begleitet. Die Plastiktüten hängen in den Ästen der Bäume
am Uferrand. Umweltschutz sieht anders aus. Kroscienko ist die letzte
Siedlung vor dem Grenzübergang. Einzelne Häuser fristen ihr Dasein
dahin. Manche bewohnt und bewirtschaftet als kleiner Bauernhof,
andere sind verlassen und vom Vandalismus heimgesucht worden. Je
näher wir dem dem Grenzübergang kommen, umso mulmiger wird es in
uns. Ein fast schon ängstliches Gefühl beschleicht uns. Gerade,
weil dahinter eine Welt der Unbekannte für uns herrscht. Speziell
mit dem Hintergrund der derzeitigen Konflikte.
Dennoch scheint ein Grenzübertreten
zwischen beiden Ländern völlig normal zu sein. Nur mit
Passkontrolle und Warteminuten verbunden. Polen und Ukrainer stehen
in der Schlange. So recht scheint es im Moment nicht voran zu gehen,
die Motoren sind aus, die Fahrer und Insassen stehen auf der Straße
und unterhalten sich. Die Grenzer lassen sich Zeit, verwalten gern
einmal willkürlich. Die Ein- und Ausreisebestimmungen sind
komplizierter. Fahrzeughalter muss im Auto sitzen usw. Wir reihen uns
nicht mit ein, wir wenden in schnellem Bogen. Entfernen uns von jener
Grenze, damit verschwindet auch das mulmige Gefühl.
Mittlerweile ist es Nachmittag. 30km
sind es bis Sanok. Die nehmen wir in Angriff. Dort begann heute
morgen und endet unser Tagesausflug. In Olszanica sehen wir auf der
rechten Seite eine Wallfahrtskirche, eingebettet von einem
Wassergraben. Zum Abschluss noch einmal etwas für das Auge. 20
Minuten später erreichen wir Sanok. Damit endet ein Tag in einem
unberührter, dünn besiedelter Landstrich, in dem die Uhr
mancherorts etwas langsamer schlägt. Entschleunigung in einem
entlegenen Teil Europas eben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen