Über Sanok fahren wir durch das
hügelige Karpatenvorland. Hoch und runter führt uns die Straße,
Serpentinen hinauf und hinunter. Winzige Ortschaften passieren wir.
Tyrawa Woloska ist noch einer der größten unter ihnen. Kuzmina,
Boguzowka, Stara Bircza oder Korzeniec stehen für eine dünn
besiedelte Region, die 1947 eine große Vertreibungswelle der
ukrainischen Minderheit zu bewältigen hatte. Manchmal sieht man
einen alten Traktor über die Feldwege fahren, einige sind auf ihren
Drahteseln unterwegs, andere beobachten den vorbei rasenden Verkehr.
Vorwiegend ältere Menschen sind anzutreffen. Die Landschaft ist
dafür umso einzigartiger. Mutter Natur hat sich das Flecken Erde
wieder zurückgeholt. Weite Wiesen und Felder wechseln sich mit dicht
bewachsenen Wäldern ab. Abseits jeglicher Zivilisation. Die
Unberührtheit und Einsamkeit entschleunigt, entspannt. Ab dem
Örtchen Olzany begleitet uns der San auf linker Flanke bis nach
Przemysl. Die Dörfer werden nun frequentierter, wir erreichen das
Umland. Knapp 60 Kilometer legen wir zurück.
Stadt mit kriegerischer Vergangenheit
65000 Einwohner leben in dieser Stadt
im äußersten Südosten Polens. Die Grenze zur Ukraine ist nur 15 km
entfernt. Der breite San fließt mitten hindurch. Auf beiden Seiten
haben sich die Menschen angesiedelt. Przemysl, eine Stadt mit
Geschichte im hügeligen Vorland der Karpaten. Die zentrale Lage
schafft Vor- und Nachteile. Verkehrsgünstig gelegen profitierte man
bereits im Mittelalter davon. Diverse Handelswege verliefen durch die
Stadt. Das brachte einen Schmelztiegel der Kulturen mit sich.
Vielfalt in jeglicher Richtung, besonders im Glauben. Reformierte,
Jesuiten oder Katholiken bauten Gotteshäuser. Die andere Seite ist
der Krieg.
Przemysl spielte in beiden Weltkrieg
eine nicht unwichtige Rolle. Die Habsburger mussten sie vor dem
Ersten Weltkrieg die Stadt vor den Russen schützen. Folge war, dass
sie zu einer wahren Festung ausbauten. Sagenhafte 140000 Soldaten
waren 1914 hier stationiert. Wahnsinn. 1915 hatte man gegen die
Russen keine Chance mehr. Die Belagerung gilt als die größte des
Ersten Weltkrieges. Nur wenige Monate später eroberte die
österreichisch-ungarische Armee Przemysl zurück. Eine Schlacht, die
in die Geschichte einging.
Vom Zweiten Weltkrieg blieb die Stadt
ebenso wenig verschont. Erst unter der Vorherrschaft der deutschen
Truppen, danach an die Russen gemäß Freundschaftsvertrags von 1939
übergeben. Die deutsche Wehrmacht versuchte 1941 erneut Przemysl
zurückzuerobern, mit Erfolg. Bis 1944. Nach Ende des Zweiten
Weltkriegs gab es noch harte Kämpfe zwischen polnischen Partisanen
und ukrainischen Nationalisten um das Gebiet. Schlussendlich wurden
alle Ukrainer im Frühjahr 1947 zwangsumgesiedelt. Eine
konfliktreiche Gegend, jeher umkämpft zwischen den Fronten. Erst der
Krimkrieg, danach der Erste Weltkrieg, der die Befestigungsanlagen
fast völlig zerstörte, und die Geschichte des 2. Weltkrieges ist
bereits erzählt. Noch heute gibt es Spannungen zwischen beiden
Völkergruppen. So ist das, wenn unterschiedliche Kulturen in vielen
Fragen der Religion, der Sitten und Bräuche, der Lebensauffassung
verschieden sind.
Die kleine Altstadt ist sicherlich das
Schmuckstück Przemysls. Verschiedene Klöster und Kirchen vermitteln
einen religiösen Charme und Vielfalt. Die Orthodoxen und die
Römisch-katholischen ließen prachtvolle Gotteshäuser errichten.
Unseren Rundgang durch die Innenstadt beginnt am terrassenförmigen,
Rynek. Ein wundervoller Platz. Die stolzen Bürgerhäuser umrahmen
ihn. Die Kirchen ragen im Hintergrund stolz gen Himmel. Die
Habsburger haben ihre Spuren hinterlassen. Allmählich erklimmen wir
den Berg hinuf zum Burg. Wieder an Gotteshäusern vorbei. Die Burg
ist heute sehr gut erhalten, macht einen soliden Eindruck. Ein Museum
und ein Hotel sind darin untergebracht. Sinnvoll genutzt, nennt man
das. Die verschiedenen Tafeln informieren über die kriegerische
Bedeutung dieser Befestungsanlagen und der Stadt Przemysl überhaupt.
Einen wunderbaren, weiten Blick hat man über die Stadt. Der Fluss,
die Häuser, die Straßen mit ihren Autos.
Generell macht die Stadt einen
aufgeweckten, belebten Eindruck. Zahlreiche kleine Läden und
Boutiquen sowie Restaurants und Cafes verleihen dem Stadtbild
Individualität. Das Kopfsteinpflaster in der Altstadt den
dazugehörigen gewissen Charme. Irgendwie merkt man die historische
Vergangenheit der Stadt, auf positive Art.
Kleinstadt Jaroslaw
30km nördlich von Przemysl liegt das
Städtchen Jaroslaw mit seinen stattlichen 38000 Einwohnern. Mitten
im Karpatenvorland, am Ufer des allmächtigen San. Rundherum sind nur
weite Felder, unterbrochen von dichten Wäldern, zu sehen.
Bereits im Mittelalter profitierte man
von der günstigen Lage an alten Handelswegen. Die Stadt blühte.
Straßenzüge wurden zerstört. Ein
Grauen hinterlässt Spuren. Immerhin wurde das Gebiet rund um den
Rynek wieder aufgebaut. Die Fassaden bröckeln dennoch, die Farben
strahlen nicht gerade im neuesten Glanz. Die stattlichen
Patrizierhäuser umgeben den Marktplatz. Dort befindet sich das
möglicherweise schönste profane Gebäude der Stadt, das Haus des
Bankiers Orchestri. Erbaut wurde es 1570 im Renaissance-Stil. Das
Stadtmuseum hat einen angemessene Platz erhalten. Östlich und
Westlich, an den Grenzen der kleinen Altstadt, befindet sich jeweils
ein Kloster. Auf der einen Seite das Dominikanerkloster mit der
Holzskulptur Mater Dolorosa auf dem Altar, der einige Wunder
nachgesagt werden. Das Benediktinerkloster liegt auf der anderen
Seite, wurde während des Zweiten Weltkriegs als Gefängnis- und
Ermordungsstätte der Nazis genutzt.
Lancut und sein Schloss
Auf dem Weg nach Rzeszow passieren wir
die Kleinstadt Lancut. Mit der Aussprache hat man es einfach, wie das
bayerische Landshut. Kein Zungenbrecher. Über die Stadt gibt es
nicht allzu viel zu erzählen, eine normale Kleinstadt eben. Nur
eines hat die 18000 Einwohner-Stadt, ein beachtliches Bauwerk, das
Schloss. Lancut und sein Schloss, beides ist untrennnbar miteinander
verbunden. 1629 begann der Bau, er dauerte über 10 Jahre,
architektonisch nach den Wünschen des Auftraggeber Stanislaw
Lubomirski. Es ist eine riesige Palastanlage, der Landschaftspark im
englischen Stil steht dem in nichts nach. Die Rasenflächen sind top
gepflegt, kein Grashalm ist am falschen Ort platziert. Die breiten
Wege gliedern sich fantastisch in das Erscheinungsbild. Unter den
mächtigen, hundert Jahre alten Bäumen kann man sich besonders im
Sommer an einem schattigen Plätzchen gemütlich machen.
Das Schloss ist ein viereckiger Komplex
über zwei Stockwerke. Das prachtvolle Hauptportal wird links und
rechts von zwei Ecktürmen flankiert. Wirklich wundervoll. Große
Berühmtheit erlangte im Laufe der Zeit das Schloss.
Persönlichkeiten, Stars und Sternchen, besuchten die Anlage.
Fürsten, Adlige, Staatspräsidenten. Es war Zentrum des kulturellen
Lebens einer ganzen Region. Heute wird der Schlosskomplex vielseitig
genutzt. Der Park ist für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich.
Saal an Saal reiht sich im Inneren.
Spiegelkabinett, Ballsaal, Chinesisches Zimmer oder der Ballsaal sind
die nennenswerten darunter. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die
Außenfassade umgestaltet. Die neobarocken Elemente sind das
Ergebnis, welches heute noch erhalten ist. In dem als eines der
bedeutendsten Architekturdenkmäler Polens sind einige Museen mit
unterschiedlichen Themenbereichen beheimatet. Die Kunstsammlungen
der Familien Lubormirski und Potocki ist die spektakulärste
Ausstellung. Wertvolle Gegenstände und Exponate sind in Vitrinen zur
Schau gestellt. Eine Schlossbibliothek gibt es ebenfalls. Zigtausende
Bücher, Bände und sonstige Werke große Dichter, Denker und
Persönlichkeiten. Zusätzlich sind in den Nebengebäuden in der
Parkanlage Museen installiert. Im ehemaligen Gewächshaus, das
heutige Orchideenhaus, werden die für viele schönsten Pflanzen der
Welt präsentiert. Die Gattungen der Orchideen reichen von den
erdbewachsenen Typen bis zu den Lithophyten und Epiphyten. Jene die
auf Gestein bzw. anderen Pflanzen wachsen. Das es so etwas gibt. In
der einstigen Wagenremise gibt es eine weitere exotische Ausstellung.
Das Kutschenmuseum, die wertvollste Sammlung Polens, mit 80 Karossen.
Nicht schlecht. Noch so eines zum Schluss, das Museum des polnischen
Jägerregiments zu Pferde. Eine Ausstellung zum Thema Krieg. Die gab
es genug in der Region, daher auch die Unmengen an Exponaten aus
motorisierten und unmotorisierten Zeiten. Dabei gilt das
Hauptaugenmerk dieses besonderen Regiments, das in ganz Europa zum
Einsatz kam. Drei individuelle Museen.
Weiter führt uns der Weg auf der breit
ausgebauten Bundesstraße Richtung Rzeszow. Einspurig, oftmals
zweispurig. Dringend nötig um die schweren Lkws und die langsamen
Pkws zu überholen. Mit 100 Km/h düsen wir dahin. Manche
Unverbesserlich haben es eiliger, trotz erhöhtem Verkehrsaufkommen.
Kolonnenüberholen, von Lücke zu Lücke. Häufig wird die Distanz
haarscharf ausgereizt, sicherlich oft fehl eingeschätzt. Gefährlich
für alle Beteiligten. Flach geht es dahin, meist nur
schnurgeradeaus.
In der Hauptstadt des Karpatenvorlandes
Rzeszow, zu deutsch: Reichshof. Ein
Zentrum im Karpatenvorland. Ein Wirtschaftszentrum der
Luftfahrtindustrie Polens. Die Universität, diverse Hochschulen und
das Politechnikum locken Jahr für Jahr tausende Studenten in die
Stadt. Junges Rzesow, automatisch vergehen die Stunden schneller.
Dementsprechend ist viel los auf den Straßen. Die scheinen fast zu
verstopfen. Nur im Schritttempo kommt man in der Innenstadt voran. In
einem Parkhaus finden wir einen Platz für das geliebte Automobil.
Gerade noch Glück gehabt, es war der letzte Freie.
Ab ins Getümmel, über breite Ampeln
in Richtung Rynek. Quer durch die Innenstadt. Vorbei an kleinen
Geschäften. Es ist nachmittags 15 Uhr. Wir treffen auf Menschen,
Studenten eilen durch die Gassen, Jugendliche schlendern von der
Schule nach Hause.
Der Marktplatz. Rynek. Der Treffpunkt
in der Stadt. Ein wundervoller, rechteckiger Platz mit enormen
Charme. In den Straßencafes kann man sie diesem gemütlich hingeben.
Ein Gebäude sticht besonders hervor, das Rathaus. Im neugotischen
Stil bestimmt es die Szenerie. Die umgebenden stolzen Bürgerhäuser
treten in den Hintergrund. Museen finden in inen ihre Heimat.
Darunter eine historische Ausstellung und ein Regionalmuseum mit
Trachten und Schmuckstücken aus der kulturellen Umgebung. Darunter,
unter der Erde, verbirgt sich ein verzweigtes System aus Gängen und
Bunkern. Sie sind im 17. Jahrhundert durch ansässige Kaufleute
angelegt worden, die sie als Lagerstätten für ihre Waren nutzten.
Es gibt auch eine Kehrseite der
Medaille. Eine traurige Geschichte liegt auf der Großstadt, auf dem
Rücken der Menschen. Wieder einmal hat das mit den
Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Juden
wurden im wahrsten Sinne ausgerottet. 15000 Juden lebten in Rzeszow.
1942 nach der Einrichtung des Ghettos und der Deportation in die
Vernichtungslager war das nicht mehr möglich. Massentötungen. Polen
und das Grauen des Zweiten Weltkrieg.
Wir haben Hunger. Orientalische
Kebab-Imbisse gibt es im Überfluss. Am Rynek gibt es gleich drei,
zwei sogar nebeneinander. Der eine ist voll, der andere leer. Die
Entscheidung fällt leicht. Der Kebab sieht anders aus als bei uns.
Nicht verwunderlich, er heißt bei uns Döner. Eher wie eine Art
Dürum, nur mit dünnem, knusprigen Fladenbrot. Darin das Fleisch,
das Kraut, die Zwiebeln und die Kräutersoße. Lecker. Schnell haben
wir den Happen verdrückt.
Nur der ehemalige Sommerpalast der
Fürstenfamilie Lubormirski reiht sich in die dürftige Falance der
sehenswerten Bauten in Rzeszow ein. Keine spektakuläre Innenstadt.
Rund um den Marktplatz findet man in einigen Gassen
Einzelhandelsgeschäfte, in denen mit etwas Glück das ein oder
andere Schnäppchen zu erhaschen ist.
Unweit
ragt ein Kirchturm in die Höhe. Der gotischen ockerfarbenen
Pfarrkirche aus dem 15. Jahrhundert. Dort wartet ein kleines
Highlight auf uns. Jeder kennt ihn aus der Werbung, live in Farbe
habe ich ihn noch nicht gesehen. Der Coca-Cola-Weihnachtstruck ist
vorgefahren, baut seinen Stand gerade auf. Die Musik läuft, die
männlichen und weiblichen Hostessen verbreiten gute Laune. Dosen
verteilen sie nicht, enttäuschend. Die Menschen sind trotzdem da,
fotografieren, knipsen Selfies. Mittlerweile ist die Dämmerung
vollständig eingetreten, im Nu ist es dunkel. 16 Uhr. Die
LED-Lichter hüllen den typisch amerikanischen Truck in den
fabelhaften Glanz der Werbung dieser Weltmarke, die wir alle kennen.
das Logo sticht hervor. Marketingtechnisch perfekt in Szene gesetzt.
Er verkörpert diesen gewissen amerikanischen Lifestyle der süßen
Blubberbrause. Den passenden Song von der früh verstorbenen Melanie
Thornton hat man automatisch im Ohr. Klar kommerzieller Wahnsinn,
trotzdem wirft jeder nicht nur einen Blick auf ihn. Ein
Anziehungsmagnet.
Sonst ist die
Stadt von Funktionalität und Pragmatismus geprägt. Viel Wohnraum
auf vergleichsweise geringerer Fläche. Haus an Haus reiht sich.
Ganze Häuserfronten bestimmen die Straßenzüge, die Plattenbauten
sind selbstverständlich eingestreut. Die Autos stehen in den
Seitenstraßen Stoßstange an Stoßstange. Die Menschen wohnen
zentrumsnah. Alles ist schnell zu erreichen. Ein Vorteil. So gehen
wir dahin, auf der Suche noch etwas neues bzw. Spektakuläres zu
entdecken und einen Eindruck von der Stadt zu bekommen. Ersteres
trifft nicht ein, das Zweite gelingt uns, sehr gut sogar.
Damit nähert
sich unser Besuch Rzeszow dem Ende. Die Dunkelheit lässt den Abend
einläuten, den Tag ausklingen. Der Weg zum Parkhaus ist nicht allzu
weit. Das Parken in Zentrumsnähe macht sich bezahlt. Nur wird es
noch einige Zeit dauern bis wir im Hotel ankommen, die Rush Hour
verstopft die Straße. Wieder quetschen sich Autos durch Rzeszow.
Stop and go. Stop an go. Bis es in flüssigen Verkehr übergeht.
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