16 Juni 2015

Schindlers Fabrik im Ghettoviertel (Teil 14)


 
Der Weg führt uns heraus aus der Altstadt. Über die Brücke auf die andere Uferseite der Weichsel. Es geht in den Stadtteil Podgorce. Im 18. Jahrhundert wurde die damals eigenständige Stadt eingemeindet. 1941 wurde in jenem Viertel das Ghetto Krakaus eingerichtet.
Wir biegen links ab. Hinein ins Industriegebiet. Fabriken und Bürogebäude begegnen uns. Wenig spektakulär, wenig ansehnlich. Das ändert sich.
Schindlers Fabrik. Historischen Boden betreten wir. Jeden kennt den Film „Schindler's Liste“. Vom Star-Regisseur Steven Spielberg 1993 in Schwarz-Weiß gedreht. Jeder kennt diesen Oscar-prämierten Weltfilm, jeder hat ihn gesehen. Oskar Schindler, ein deutschmährischer Großindustrieller, anfangs nur nach dem Profit aus, rettet 1200 Juden vor dem Tod, in dem er sie in seiner Emaillefabrik, sie produziert Geschirr wie Töpfe und Pfannen für den Kriegsbedarf, als Arbeiter beschäftigte. Fabryka Emailia Oskara Schindlera. Heute befindet sich im ehemaligen Verwaltungsgebäude ein staatliches Museum. Das restliche Fabrikgelände samt Lager ist nicht erhalten.

 

Wir gehen hinein. Von außen macht das langgestreckte Gebäude einen modernen Eindruck. Ist es auch. Das Museum wurde erst 2010 eröffnet. Zuvor war es in privatwirtschaftlicher Hand. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Fabrik verstaatlicht. Telekommunikationsanlagen wurden produziert. 3,7 Millionen Euro hat man in die Sanierung und in die Dauerausstellung investiert. Das Resultat beeindruckt. Schonungslose Geschichte.
5 Minuten später sind wir drin. Unbedarft, ohne zu wissen, was uns erwartet. Der Zweite Weltkrieg klar, das Ausmaß aber nicht. Über zwei Stunden werden wir in den Räumlichkeiten verbringen. Am Ende sind wir erschlagen von den Informationen und der Visualisierung.
 
Alles beginnt mit dem vermeintlich triumphalen Einmarsch Hitlers in Österreichs und der Annektion an das Dritte Reich. Durch Ferngläser kann man aneinandergereihte Bilder, Berichte und Kurzfilme sehen. An den Wänden hängen Plakate der damals vorherrschenden politischen Landschaft. Noch nichts besonderes. Das ändert sich. Der Gang durch ein verzweigtes Labyrinth auf drei Stockwerke beginnt nun. „Krakau unter der deutschen Besatzung 1939-1945“ ist das Thema. Doch es ist vielmehr als harte Fakten. Es ist die schonungslose Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die schockierende Verdeutlichung der Gräueltaten der Hitler-Schergen und das daraus resultierende Leid. Station für Station. Die Räumung der Universität, die Sonderaktion Krakau, die Einrichtung des jüdischen Viertels oder die Befreiung durch die Rote Armee. Dabei arbeitet man mit Symbolen, Parolen, Bekanntmachungen, Plakaten und Material, das bei uns in Deutschland strengstens verboten ist. Die Szenerie versetzt man nahezu 3D-getreu in die damaligen Schauplätze. Der Besucher ist mittendrin. Raumfüllende rote Fahnen mit Hakenkreuz hängen in dem Gang, sodass man sie beiseite schieben muss, um weiter gehen zu können. Auf den weißen Fliesen, weiß die Farbe der Unschuld, sind die Hakenkreuze hundertfach nebeneinander angeordnet. An den Litfaßsäulen sind Szenen aus dem besetzten polnischen Krakau. Räume erhielten Namen der Straßen und Plätze Krakaus. Ganze Straßenzüge wurden nachgeahmt. Die Straßenbahn geschickt integriert. Kriegsmaschinen sind zur Schau gestellt. Ob sie aus jenen Zeiten stammen, bleibt fraglich. Die Originalität aller Exponate ist verblüffend. Immer wieder hängen Portraits von Menschen an der Wand. Durch sie erhält das Leid, das Schicksal und die Geschichte ein Gesicht. Kleinste Details aus dem Alltagsleben in der Besatzungszeit werden dargestellt. Vom Bahnhof bis zum Frisörladen. Anhand von ausgewählten Figuren aus dem Krakauer Alltagsleben während der Okkupationszeit werden die zeitlichen Abläufe und die damit verbundenen Schicksale uns näher gebracht. Die Nazi-Propaganda visuell geschildert. Die Zerstörungen, Vertreibung der Juden, das Zusammentreiben im Ghetto, das Leben im Arbeits- bzw. Konzentrationslager von Plaszow und Auschwitz. Alle Eckpunkte umfasst die Ausstellung. Deren Aufbereitung ist fantastisch bis unglaublich. Fotos, Plakate, Hörtexte und Filme verschaffen Kurzweiligkeit. Sie erfassen uns, sorgen für Gänsehautmomente der negativen Art. Die Demut, die Schuld beschleicht mich als deutschen Staatsbürger. Die breite Palette der modernen und technischen Möglichkeiten wird ausgeschöpft.

Eines kommt leider zu kurz. Ein Wermutstropfen. Die Geschichte des Hauses und der Fabrik der Emaillefabrik Oskar Schindler. Nur zwei Räume sind dieser Thematik gewidmet. In einem ist das Chefbüro Schindlers mit Schreibtisch und sonstiger Büroeinrichtung untergebracht, im Raum nebenan sind die Pfannen, Töpfe und das Geschirr, welches großteils aus Aluminium produziert wurde, in einem überdimensionalen Glaskasten wild durcheinander gewürfelt. Die Namen der Beschäftigten, zugleich der Geretteten, hängen an der Wand. Jeder kennt den bekanntesten unter ihnen. Izhak Stern, der Fabrikleiter, der Oskar Schindler Kontakte zu jüdischen Organisationen und Geldgebern verschaffte.
Ein beeindruckendes Museum, das jede Möglichkeit der Visualisierung und Darstellung harter Fakten auf verschiedenste Art nutzt. Geschichtsunterricht eben. Der Besucher wird direkt konfrontiert, ohne Umschweifungen, ohne Kompromisse. Demut erfasst uns. Als Deutscher fühlt man sich immer schuldig. So erging es uns bereits in Auschwitz. So auch jetzt im Museum Schindlers Fabrik.

Erst jetzt bemerken wir das Museum nebenan. Das MOCAK. Für Kunstliebhaber ist es ein Paradies. Über 10000 m² Ausstellungsfläche erwarten den Besuchern. Sechs Gebäude stammen aus der ehemaligen Emaillewarenfabrik Oskar Schindlers, die zu einem hochmodernen Museum umgebaut wurde. Polnische Kunst, vor allem aus der jüngeren Vergangenheit, kommen in den Räumlichkeiten zum Tragen. Nicht unser Ding. Der Schock aus der Fabrik Schindlers ist uns noch im Kopf. Für einige Stunden wird es uns nicht los lassen.
 
Nur noch Erinnerungen ans Gehttoviertel
 
Podgorce.1941 wurde nach der Eroberung Polens beschlossen, eine jüdische Wohnsiedlung anzulegen. Ein Ghetto. Alle Juden aus Krakau mussten innerhalb kürzester Zeit umziehen. 15000 Menschen waren zusammengepfercht. Vorher lebten 3000 Menschen im Stadtteil Podgorce. Die dort vorherrschenden Verhältnisse kann man sich vorstellen. Es war hermetisch vom Rest der Stadt abgeriegelt. Eine Mauer umgrenzte extra das Gebiet, die SS bewachte. Nichtjuden war das Betreten untersagt. Monate später wurde es nochmals unterteilt. Ghetto A und B. Kriterium war die Arbeitsfähigkeit. Vorbereitung für die endgültige Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Das Schicksal war vorbestimmt.
 
 
 

Zentrum des Lebens im Ghetto war der Platz der Einheit. Heute heißt er anders, angemessener. Platz der Ghettohelden. Ein Mahnmal heute. Leere Holzstühle, größer als die allseits bekannte Norm, sind quer über dem Platz verteilt. An der nordöstlichen Ecke steht ein besonderes Gebäude. Die „Apotheke unter dem Adler“ war die einzige ihrer Art im Ghetto. Besitzer war ein gewisser Tadeusz Pankiewicz. Der war die Ausnahme der Ausnahme. Nämlich der einzige Nichtjude. Sie war aber mehr als bloß eine Apotheke. Sie war eine Anlaufstelle, ein Treffpunkt für alle Juden im Ghetto. In der heutigen Zeit ist ein historisches Museum untergebracht, in dessen diese Thematik in vielen Sprachen zur Geltung kommt. Über die Straßen Piwna und Josefinska gelangen wir zum Rynek des Stadtteils. Ein großer Platz, eine große Baustelle. Der Belag wird runderneuert. Am Ende liegt die große evangelische Kirche, die alles überragt. Menschen gehen hinein und wieder heraus. Ein gläubiges Volk, die Polen.
 
Ein lebendiges Viertel, dieses Podgorce. Lebendiges Alltagsleben, das typisch ist für diese dynamische Stadt. Von den vergangenen Grausamkeiten, vom Leben der Juden im Ghetto sind nur noch verhältnismäßig winzige Äußerlichkeiten erhalten. Deutsche Namen ehemaliger Handwerksbetriebe an den Hausfassaden zum Beispiel. Die Menschen wuseln auf den Gehsteigen, warten auf die ratternde Straßenbahn. Jung und Alt. Langsam nähern wir uns wieder der Weichsel. Damit deren Überquerung. Die Most Pilsudskiego verbindet Podgorce mit dem Kazimierz. Dort, wo wir unsere Tour heute begannen.

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