28 Mai 2014

Bayern, Sachsen und Tschechien - Länder berühren sich


 

Eine Grenze mit einer Länge von 1400km, eine Grenze, die ein Volk trennt, von heute auf morgen spaltet. Die menschlichen Schicksale als verheerende Folgen mit sich bringt. 40 Jahre trennte sie das deutsche Volk, ein Volk, das es in der Historie durch die Kleinstaaterei in den vorangegangen Jahrhunderten  vergleichsweise lange schwer tat, sich als ein gemeinsames Volk zu finden. Ein grausames Kapitel in der deutschen Geschichte, diese innerdeutsche Grenze.

Ein  Anfangs- oder Endpunkt, je nachdem wie man es sehen will, ist das Dreiländereck Sachsen-Bayern-Böhmen.  Ein Grenzpunkt an drei Ländergrenzen. Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Demokratische Republik und die Tschechoslowakei kreuzten zu Zeiten des Kalten Krieges ihre Schwerter.  Es ist keine Stadt, es ist keine Festung, es ist ein Idyll in der Natur, fast unscheinbar und ohne Tam Tam.

Geographisch befinden wir uns im nordöstlichen Oberfranken, circa 20km westlich der 46000-Einwohner-Stadt Hof/Saale. Eichigt auf sächsischer Seite, Hranice auf tschechischer/böhmischer Seite und das Städtchen Regnitzlosau mit seinem Ortsteil Prex befinden sich in unmittelbarer Nähe zu diesem historisch bedeutsamen Territorium. Früher, im 19. und 20. Jahrhundert hatte dieser Grenzpunkt den Beinamen „Dreikönigreicheck“.Logischerweise grenzten drei Königreiche aneinander, exakt wie die Beteiligten zu Zeiten jenes Kalten Krieges. Das Königreich Bayern, das böhmische Königreich  und das Königreich Sachsen. Daher wurde auf diese Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Wiedervereinigung 1990 zurückgegriffen. Sie bestehen heute noch. Nämlich die zu Tschechien und die zwischen den Bundesländern Bayern und Sachsen. Der Unterschied ist aber gewaltig. Seit Tschechiens Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 2007  und dem Schengener Abkommen  ist der Übertritt unkompliziert möglich. Keine Zollkontrolle. Keine Ausweiskontrolle.

In einem Tal befindet sich das besagte Dreiländereck. Von der bayerischen Seite aus erreicht man direkt mit dem Automobil den Grenzbereich. Der Weg führt uns an einem Soldatengrab vorbei, ein
Blick zum Grenzbereich
„Namenloser“, ein „Unbekannter“. Ein Kreuz, Blumen und ein typischer Soldatenhelm schmücken das Grab.
Der Blick richtet sich nach vorne, kleine Holzbrücken sind schon zu erkennen, auch ohne Brille. Absolute Stille, keine Menschen, kein Lärm. Nur Vogelgezwitscher. Pure Natur. Kein Wunder, das gesamte Areal ist als Naturschutzgebiet gekennzeichnet. Der Grenzstreifen hat sich in den 40 Jahren zu einem einzigartigen, unberührten Naturraum kultiviert. Heute als das grüne Band allseits bekannt. So auch hier.

Die Regnitz begegnet uns, die wir über eine Holzbrücke überqueren. Vor ihr treffen wir schon auf die erste Staatsgrenze. Wir gehen von dem bayerischen Deutschland in den Nachbarstaat Tschechien. Die Schilder „Staatsgrenze“ mit weiß-blauen Hintergrund und das mit dem Wappen unseres Nachbarn. Die kleine Regnitz, ein idyllischer Fluss. Sie entsteht durch den Zusammenfluss des Zinnbaches und des Ziegenbaches nahe Huschermühle, ihr Ende findet sie nahe dem oberfränkischen Hof, in der Mündung in die Saale. Dort steht heute nur noch ein verlassenes, heruntergekommenes Haus. Der Fluss bildet seit seiner Entstehung die natürliche Grenze zwischen Deutschland und Tschechien, bis zum Dreiländereck. Danach ist sie endgültig deutsch. Eine großartige Landschaft mit sehr viel Wald und riesigen Grünflächen in einem hügeligen Terrain. Wieder diese Abgeschiedenheit, diese Ruhe. Die Südliche Regnitz, so die genaue Bezeichnung, hatte bis Ende der 1950er Jahre angeblich den größten Perlmuttbestand in Mitteleuropa. Es zeigt, welch Natur im Dreiländereck existiert. Unberührt. Der Flusslauf mit einer niedrigen Fließgeschwindigkeit ist wild und naturnah. Bäume stellen sich in den Weg. Lebensraum für unzählige Tiere und Organismen. Das ist förmlich spürbar. Den eigentlichen Marginalpunkt, der Dreiländerpunkt, bildet der Mühlbach. Ein Steg führt über das kleine Rinnsal, direkt neben der Regnitz. Wir befinden exakt an dem Grenzpunkt, wo sich  die ehemaligen Königreiche Bayern, Böhmen und Sachsen, die heutigen Bundesländer Bayern und Sachsen sowie der Nachbarstaat Tschechien aufeinander treffen. Die Grenzsteine in strahlendem Weiß markieren die Grenze. Die Initialen mit den jeweiligen Buchstaben „B“ für Bayern, „C“ für Tschechien und das „S“ steht natürlich für Sachsen. Sie sind exakt auf der Staatsline platziert, alle paar Meter, haben diese Art Strich auf dem Kopf. Voraussetzung dabei ist von oben darauf zu schauen. Allerdings sind sie seitlich auch angebracht. Sie sind dem jeweiligem Land zugewandt und weisen daher auf das Hoheitsgebiet. Unter den Buchstaben kann man die Zahl 1844 nicht übersehen, die auf die letzte Territoriumsveränderung der Markierungslinie hinweist. So erkläre ich mir das jedenfalls. Wird stimmen, denke ich. Früher soll es hier eine Siedlung gegeben haben  mit Wirthausverkehr, davon ist nicht mehr viel zu sehen. Spätestes zur Abschottung der SED-Diktatur wurden ganze Familien ins Hinterland verfrachtet. Wieder dieses grausame Schicksal, das tausende Familien nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze teilen.



 Aber verblüfft und erstaunt über diese Natur. Es ist wunderschön hier. Wir setzen uns auf eine der überdachten Bänke auf böhmischer Seite, schauen hinab zu den Grenzpunkten, vielmehr aber zu dieser Landschaft, die Sonnenstrahlen blinzeln durch die Bäume. Das Wasser spiegelt sich. Wie im Bilderbuch. Wir genießen, verweilen, blicken in die Ferne über die grünen Felder hinweg. Unter dem Dach der Holzbank finden wir eine kleine Tasche mit dem Inhalt eines Gästebuches. Stifte liegen bei. Sogar ein Stempel. Logisch, da lassen wir uns nicht zweimal bitten und hinterlassen unsere Grußbotschaft. Komisch, spielerisch irgendwie, selbstverständlich für einen, seltsam.  Heute gibt es keine Überbleibsel mehr vom „Eisernen Vorhang“. Keine Häuser, keine Zäune, keine Pfähle, keine Mauer, nur die Grenzsteine. 

Nichts sieht man mehr von dem Hochwasser aus dem Juni vergangenen Jahres, als hier alles unter Wasser stand, teilweise bis zu einem Meter über den Boden. Ein krasser Gegensatz zu dem Bild, welches sich vor meinen Augen auftut. Hier, so zart, so unschuldig, dort die Urgewalt, die Kraft, das Wilde. Das vergisst man leicht, die Informationstafeln bringen uns die Erinnerung wieder zurück. Rückstande oder Altlasten davon sind nicht mehr zu sehen. Die Natur hat sich beruhigt und erholt.

Total beeindruckt gehen wir wieder Richtung Auto, machen uns so langsam auf den Heimweg. Die Abendsonne hüllt diese Gegend in ein Paradies für Naturfreunde und Naturgenießer mit einem wichtigen Hintergrund, der Geschichte unseres Kontinents, unseres Landes, unserer Teilung.


Keine Kommentare: