01 Juli 2015

Am Rande Europas in unberührter und einsamer Natur (Teil 25)

 
Sanok - erste Station 

Sanok, wir sind bereits in den Waldkarpaten. Im Südosten Polens. Bis zur Slowakei sind es 39km, bis zur Ukraine sind es 50km. The middle of nowhere würden viele das bezeichnen. In einer dünn besiedelten Region ist Sanok mit seinen 39000 Einwohnern die größte Stadt.

Der Verkehr staut sich, Schritt für Schritt kommen wir nur voran. Irgendwie typisch für Polen, die Straßen sind dem Verkehrsaufkommen nicht angepasst. Über eine halbe Stunde benötigen wir für die Fahrt in die Innenstadt. Das Wetter ist heute nicht unser Freund. Das Thermometer zeigt 5 Grad Celsius an, es regnet leicht. Diese Nasskälte zieht schnell in die Knochen. Eklig.



 
Einige historische Bauten zeugen durchaus von Wohlstand und Reichtum vergangener Tage. Wir beginnen unseren Stadtrundgang am quadratisch angelegten Rynek. Von stolzen Bürgerhäusern ist er gesäumt. Das sich dort befindliche Rathaus stammt aus dem 18. Jahrhundert. Sehr repräsentativ.
Gegenüber liegt das Franziskanerkloster, inklusive Pfarrkirche. Ein katholisches Männerkloster, im 14. Jahrhundert gegründet. Ob darin heute noch Mönche leben, bezweifle ich. Für mich nicht vorstellbar.
Ziemlich rasch, nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt, gelangen wir zur Burg von Sanok. Ursprünglich erbaute man eine Holzburg, wurde jedoch im 16. Jahrhundert zu einem Renaissanceschloss ausgebaut. Der polnische König lebte einige Jahre im Königsschloss, die direkt auf den breit fließenden San hinab blicken konnten. Heute beherbergt die Burg ein historisches Museum. Auf einigen Etagen wir eine Ikonensammlung ausgestellt. Es verfügt über umfangreiche Werke des polnischen Künstlers Zdislaw Beksinski. Gemälde, Reliefs, Skulpturen, multimediale Aufnahmen befinden sich darunter. Ein komplettes Lebenswerk.

Von dort aus laufen wir auf der Flaniermeile Sanoks, der Ulica 3 Maja entlang. Autofreie Zone. Links und rechts bieten Geschäfte ihre Waren zum Verkauf an. Kleidung, Juweliere, Optiker, Haushaltsartikel, Buchhandlung oder Lebensmittelmarkt. Kleine Einzelhandelsgeschäfte. Hauptattraktion der Flaniermeile ist die Schweijk-Sitzbank. Eine Steinfigur sitzt genüsslich am Ende der Bank. Es ist ein Soldat, Schweijk heißt er. Es ist die Hauptfigur aus dem Schelmenroman „Der brave Soldat Schwejk“ von Jaroslaw Hasek. Darin schlägt sich der typische Prager Charakter mit Geschick durchs Leben und versucht sich als Soldat vor dem Kriegseinsatz zu retten. Er steht bzw. sitzt hier als Symbol für die Verbindung zwischen Sanok und der ehemaligen österreichischen Monarchie. Klar, wir gesellen uns für wenige Sekunden zu ihm. Danach wird es uns zu nass.

Eine kleine Altstadt, die aber gut besucht ist. Die Einheimischen wuseln durch die Läden und über die Straßen. Autos müssen sich durch enge Straßen hindurch quetschen.

Am Fuß des Stadtparks von Sanok wird den Toten und Opfern des Ersten Weltkrieges gedacht. Ein überdimensionales Mahnmal soll immer an die Grauen erinnern. Dahinter beginnt auf einem Hügel die grüne Oase der Innenstadt Sanoks. Inmitten des Stadtparks steht ein Telekommunikationsmast, der aus den Baumwipfeln deutlich herausragt.

Eishockey wird in Sanok, wie in ganz Polen, groß geschrieben. Die Arena des ortsansässigen Clubs liegt direkt an Stadtrand, unweit von der Burg Sanoks. Ein traditionsreicher Verein. Mehrmals konnte man hier die polnische Eishockeymeisterschaft feiern. Volkssport.

Am Ortsausgang in Richtung Lesko treffen wir auf eine Fabrikanlage der Firma Autosan. Autosan, hatte ich vorher schon einmal gehört bzw. gelesen. An den Verkehrsbussen. Autosan, der größte Omnibushersteller Polens. Daher war mir der Name ein Begriff. Ursprünglich im sozialistischen Polen zur Eigenversorgung und Sicherstellung der Infrastruktur gegründet, hatte man nach dem Fall des Eisernen Vorhanges Probleme sich den neuen Marktbedingungen anzupassen. Die Produktpalette und die Technologie waren veraltet. Nach und nach schaffte man den Umschwung, immer mit dem Pleitegeier im Nacken. Ein anderer wichtiger Wirtschaftszweig ist die Chemie- und Gummiproduktion. Ein Arbeitsplatzbewahrer. Die teilweise monströsen Fabrikanlagen sind ein unpassender Teil der Landschaft.

Lesko – Zwischenstation zum Solina Staussee

18km sind es in das südlich gelegen Lesko. Unser nächster Anlaufpunkt. Eine Stadt mit rund 6000 Einwohnern. Der Kern Leskos liegt auf einer kleinen Erhebung. Darunter fließt der allgegenwärtige San. Das Schloss mit seinen Befestigungsmauern sticht sofort ins Auge. Seinen Ursprung fand es im 16. Jahrhundert. Zwischenzeitlich soll es stark verwüstet gewesen sein. Heute wird es als Hotel genutzt. Sinnvoll. Unweit des Schlosses ist die spätgotische Kirche ein ansehnliches Gotteshaus. Der freistehende Glockenturm ist ein Wiedererkennungsmerkmal. Wie aus dem Ei gepellt. Auf den Zustand der Kirchen in Polen wird streng geachtet. Östlich des weitgehend unspektakulären Ryneks verweist die Synagoge auf jüdische Spuren Leskos, die heute als Kunstgalerie genutzt wird. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von den deutschen Truppen zerstört, Anfang der 60er Jahre wiederaufgebaut. Der jüdische Friedhof ist nur einen Katzensprung entfernt. Beinahe 2000 verzierte Grabsteine sind auf ihm zu finden. Die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert. Jüdisches Leben war einmal.
Nur kurz halten wir uns auf. Es hält uns nichts, kein prägender Ort. Passt zu dieser sanften, beschaulichen Region.

Das Meer der Waldkarapten



Wieder fahren wir südlich, immer näher dem Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei entgegen.
Der Solina-Stausee. Das Highlight einer ganzen Region. Der Startschuss in eine zum Großteil unberührte Natur. 1958 wurde er nach sieben Jahren in Betrieb genommen, der San wurde angestaut. Dörfer wurden überflutet. Von Solina ist nicht mehr viel übrig geblieben. Das Dorf erstreckt sich am Nordufer des Sees. Es ist auch der größte und wichtigste. Um diese Jahreszeit, es ist bekanntlich Mitte Dezember, ist er ausgestorben. Die Hotels, die Souvenirbuden, die Bungalows sind verwaist. Kein Leben. Nichts. Im Sommer oder Frühjahr herrscht hier hoffentlich mehr Betrieb. Freien Blick auf den See hat man nicht, der Zugang auf die Mauer bleibt uns verwehrt. Damit auch die Sicht auf das Wasser. Nur die fulminante Staumauer sehen wir, der wieder extrem breite San zieht weiter seine Kreise bis ins Karpatenvorland. Es ist der größte Stausee Polens, 2200 Hektar Fläche sind gewaltig. Wir umfahren ihn, die Straße führt hauptsächlich auf dem Bergkamm der umliegenden sanften Erhebungen.

Kurz nach dem Dorf Solina bekommen wir doch einen ersten Eindruck. Nur nicht von der Straße aus, durch die Bäume sieht man nicht viel. Wir müssen abenteuerlich den steilen Abhang hinunter. Kein leichtes Unterfangen. Auf den herabgefallenen, verwelkten Laubblättern ist die Rutschgefahr um ein Vielfaches größer. Unten angekommen, entschädigt der Blick durchaus. Die Weite ist zu erahnen, die umgebende und charakteristische Natur ebenso.


So fahren wir zum südlichsten Punkt. Unterwegs passieren wir winzige Dörfer und Siedlungen wie Myczkow, Polanczyk Wolkowjya. Sie ähneln sich, versuchen jeweils etwas vom Kuchen des Tourismus ab zu bekommen. Campingplätze, kleine Hotels und Pension sind in ihnen zu finden. Im Winter jedoch herrscht Ebbe, die meisten sind im Moment geschlossen. Die Ruhe,die Beschaulichkeit und die weitläufige, abgeschiedene Landschaft ist verblüffend, sie ergreift auch uns.
 


In Gorzanka endet eine Bucht des Solina-Stausees. Eine Straße führt geradeaus. Durch den Ort, hinaus in die Natur. Eine schmale Straße, asphaltiert. Häuser begegnen uns, keine Bruchbuden. Im Gegenteil. Top gepflegt, mitten in der Einöde. Die Bewohner führen beinahe ein Aussteigerleben. Handyempfang? Internet? Ich weiß nicht, ob das perfekt in diesen Gefilden ausgebaut ist. Trotzdem beeindruckend so „einsam“ zu leben. Die Straße führt durch den Bach, das Wasser bahnt sich seinen Weg in der Senke über die Betonplatten. Irgendwann endet der geteerte Bereich, auf unbefestigten Terrain würde es weitergehen. Schlaglöcher, Hubbel und und und. Wir kehren um. 5 Minuten später sind wir wieder am See in Gorzanka, fahren weiter durch Bukowiec und Terka, über den Solinka, der den Stausee mit Wasser versorgt. Die Landschaft verändert sich nicht. In Rajskie überqueren wir den breiten San. Auch er fließt in den Solina-See. Den Durchbruch können wir perfekt sehen.

Der Nebenfluss der Weichsel prägt eine gesamte Region. In Sanok, Przemysl oder Jaroslaw wird er uns in den nächsten Tagen erneut begegnen. Allmählich verlassen wir den Solina-Stausee. Nach wie vor geht es durch nahezu unberührte Natur in einem dünn besiedelten Landstrich. Kaum ein Auto kommt uns entgegen, geschweige denn fährt vor oder hinter uns. Nur ein Ranger-Wagen des Nationalparks absolviert seine Kontrollstreife. Wir bewegen uns nach Osten, orientieren uns nach
Czarna.
 
 



Langsam wird es brenzlig. Der Tank, das Benzin wird leerer und leerer. Seit einiger Zeit halten wir Ausschau nach einer Zapfsäule. Vergebens.
Endlich sind wir in Czarna. Die Tanknadel zeigt schon bedrohlich in Richtung Null. In der kleinen Ortschaft biegen wir links ab. Rechts würde es ins Bauerndorf Lutowiska, dort befindet sich der Sitz der Nationalparkverwaltung und Infozentrum, und Ustryzki Gorne gehen, noch weiter hinein ins abgeschiedene Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei.
Das Wetter hat sich nicht geändert. Es regnet leicht, der Himmel ist mit Wolken verhangen. Gott sei Dank sitzen wir im Auto.

Ustrzyki Dolne - Unweit der Grenze

Letzte Station ist der Ort ganz nahe der ukrainischen Grenze. Ustrzyki Dolne. Ein komplizierter Name. Aussprache unmöglich. 9000 Menschen leben hier, in gewisser Abgeschiedenheit, nach Sanok und Przemysl sind es einige Kilometer. Ein unspektakulärer Ort. Ganz normal eben. Am Ende Europas. Die Geschäfte und Supermärkte konzentrieren sich im winzigen Innenstadtbereich. Der Markt ist die einzig nennenswerte „Sehenswürdigkeit“. Einfache Wohn- und Bürgerhäuser umgeben ihn. Ein Naturkundemuseum gib es noch. Mehr nicht.
Trotzdem versucht man die Touristen für sich zu gewinnen, so für Einkommen der Menschen zu sorgen. Hotels sind genügend vorhanden, übergroße Werbeplakate weisen darauf hin.. Im Winter stehen einige Lifte auch für die kurzen Abfahrtshänge zur Verfügung. Zum Herunterrutschen, mehr nicht. Voraussetzung ist der Schnee. Der ist noch nicht vom Himmel gefallen.

Auffällig viele Fahrzeuge mit ukrainischen Kennzeichen fahren durch die Kleinstadt, die sind umgeben von sanften Bergen der Waldkarpaten. Kein Wunder, wir sind nur noch 8km von der ukrainischen Grenze entfernt. Zeitgleich dem Ende der Europäischen Union. Genau dort wollen wir hin.

Grenze Europas

Die acht Kilometer sind schnell zurückgelegt, rechts hat uns das stark verschmutzte Flüsschen Strwiaz begleitet. Die Plastiktüten hängen in den Ästen der Bäume am Uferrand. Umweltschutz sieht anders aus. Kroscienko ist die letzte Siedlung vor dem Grenzübergang. Einzelne Häuser fristen ihr Dasein dahin. Manche bewohnt und bewirtschaftet als kleiner Bauernhof, andere sind verlassen und vom Vandalismus heimgesucht worden. Je näher wir dem dem Grenzübergang kommen, umso mulmiger wird es in uns. Ein fast schon ängstliches Gefühl beschleicht uns. Gerade, weil dahinter eine Welt der Unbekannte für uns herrscht. Speziell mit dem Hintergrund der derzeitigen Konflikte.

Dennoch scheint ein Grenzübertreten zwischen beiden Ländern völlig normal zu sein. Nur mit Passkontrolle und Warteminuten verbunden. Polen und Ukrainer stehen in der Schlange. So recht scheint es im Moment nicht voran zu gehen, die Motoren sind aus, die Fahrer und Insassen stehen auf der Straße und unterhalten sich. Die Grenzer lassen sich Zeit, verwalten gern einmal willkürlich. Die Ein- und Ausreisebestimmungen sind komplizierter. Fahrzeughalter muss im Auto sitzen usw. Wir reihen uns nicht mit ein, wir wenden in schnellem Bogen. Entfernen uns von jener Grenze, damit verschwindet auch das mulmige Gefühl.

Mittlerweile ist es Nachmittag. 30km sind es bis Sanok. Die nehmen wir in Angriff. Dort begann heute morgen und endet unser Tagesausflug. In Olszanica sehen wir auf der rechten Seite eine Wallfahrtskirche, eingebettet von einem Wassergraben. Zum Abschluss noch einmal etwas für das Auge. 20 Minuten später erreichen wir Sanok. Damit endet ein Tag in einem unberührter, dünn besiedelter Landstrich, in dem die Uhr mancherorts etwas langsamer schlägt. Entschleunigung in einem entlegenen Teil Europas eben.

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