28 Mai 2015

Das polnische Niederschlesien (Teil 1)

Niederschlesien ist groß. Einst war es eine Provinz im preußischen Staatsgebiet, heute erstreckt es sich über zwei Länder. Die Neiße ist nicht nur die Grenze zwischen beiden Staaten, sie teilt ebenso das niederschlesische Gebiet auf. Die deutsche Seite und die polnische Seite Niederschlesiens.
Das deutsche Niederschlesien umfasst weite Gebiete der Oberlausitz, von Görlitz bis Bautzen. Doch das interessiert uns heute weniger. Polens Niederschlesien steht auf dem Plan. Rechts der Neiße.






Hinter Zgorgolec, der Grenzpartnerstadt von Görlitz geht es los. Früh morgens. Hell ist es zumindest. Der Nebel hängt über den Wäldern und Federn. Das Düstere, das Mystische hält Einzug. So wie die Klischees oftmals über Polen vorherrschen. So wie man sich das Land eben vorstellt.
24km sind es ab der deutsch-polnischen Grenze bis zur nächstgrößeren Stadt Luban. Immer auf der Bundesstraße 30 entlang. Ziemlich rasch erreichen wir die nächste Stadt.
Luban, die 20000 Einwohner-Stadt. Wir machen einen kurzen Break in der größten Stadt der Region. Die Dreifaltigkeitskirche ist das prägendste Bauwerk. Ein hoch aufragendes Gotteshaus im neugotischen Stil, von Weitem bereits sichtbar. Luban ist eine Stadt von historischem Wert. Auch wenn das heute in den Bauwerken nicht mehr wirklich sichtbar ist. Seit 1346 gehörte man dem Oberlausitzer Sechsstädtebund an. Mit Kamenz, Löbau, Bautzen, Görlitz und Zittau bildete man eine starke Allianz, die eine gute wirtschaftliche Entwicklung mit sich brachte. Im Laufe der Jahre wurde die Stadt häufig Opfer von Kriegen und Besetzungen. Auch beim Kampf der Katholiken gegen die Evangelisten. Mit dem Wiener Kongress 1815 fiel Schlesien und damit Luban an die Preußen. Die Stadt entwickelte sich zum Zentrum der Produktion von Taschentüchern. Alles für die Nase. Im Zweiten Weltkrieg wurde Luban zu 60 Prozent zerstört, den Deutschen zu verdanken. Fast ein kompletter Wiederaufbau war nötig. Der sozialistische Einfluss inklusive. Er prägt.
Aufmerksam werden wir auf einen Samstagsmarkt. Viele Leute strömen zu ihm. Wir auch. Ein kurzer Abstecher in die polnische Kultur. Der Markt sieht anders aus wie bei uns. Vom Obst über Kleidung bis zur blinkenden Ramschware werden jegliche Artikel angeboten. Gut besucht ist der Markt, wird von Jung und Alt bevölkert. Die Autos stehen in Hülle und Fülle vor dem eingezäunten Gebiet. Die vollen Tüten werden hinaus getragen.
Wir passieren kleine Dörfer, winzige Siedlungen. Verlassene Häuser, einsame Höfe sind an der Tagesordnung. Das Vieh grast auf der Weide. Autohändler an Autohändler reihen sich. Ab und an trifft man auf mittelständische Betriebe. Doch mehrheitlich sind nur Wiesen, Weideland und Wälder zu sehen. Einfaches Leben, die Einheimischen versuchen zu überleben.
Mittlerweile sind wir nur noch 20km vom Riesengebirge entfernt. Die Silhouetten der Berge sind bereits erkennbar. Jelenia Gorav gilt als Hauptstadt des Riesengebirges. Dementsprechend hat die Nationalparkverwaltung des polnischen Anteils am hohen Mittelgebirge ihren Sitz. Auch ein Museum über des Riesengebirge ist hier zu finden. Jahrhundertelang war die Stadt deutsch geprägt. Seit dem Wiener Kongress. Fabriken in der Leinen- oder Papierindustrie entstanden. Mehr und mehr entwickelte sich Jelenia Gora zum Touristenort.
Zentrum der Altstadt ist der Rynek. Die umgebenden Bürgerhäuser mit den charakteristischen gewölbten Laubengängen verleihen dem Gesamtbild besonderen Glanz. Die barocken und klassizistischen Elemente mit den unterschiedlichen sanften Fassadenfarben haben maßgeblichen Anteil daran. Sie wurden in den 60er Jahren aufwendig rekonstruiert, nachdem sie zuvor dem Verfall preisgegeben waren. Je nach Handwerk waren diese Lauben unterschiedlich architektonisch erbaut. Die reichsten Einwohner Jelenia Goras wohnten einst hier. Das barocke Rathaus aus dem 18. Jahrhundert komplettiert das Ensemble. Hinter dem Rathaus steht quer über dem Gehsteig eine ausrangierte Straßenbahn. Eine Art Touristeninformation ist darin untergebracht. Karten, Broschüren, Handbücher oder Postkarten können erworben werden. Wir holen uns jeweils eine Postkarte. Von dort aus beginnt unser Streifzug durch die beachtliche, sympathische Altstadt. Eine belebte Stadt, die von einigen Touristengruppen bevölkert. Die Einheimischen strömen in die Geschäfte. Sieht man, an den zahlreichen größeren Gruppen. Geschäfte links und rechts säumen die Flaniermeile. Einige versuchen ihr frisches Obst und Gemüse unter die Leute zu bringen.
Automatisch trifft man auf die katholische Pfarrkirche St. Erasmus und Pankratius von Jelenia Gora. Im 14. Jahrhundert wurde sie einst als evangelische Kirche neu erbaut.
Am Ende jener Fußgängerzone treffen wir auf ein monumentales Gotteshaus. Imposant groß. Die Hirschberger Gnadenkirche. Schwierig, sie aus einer Perspektive auf eine Foto zu bekommen. Papst Johannes Paul II. verteilte vor der Kirche seinen Segen. Die Statue des Papstes darf nicht fehlen. Rund um das Gnadenhaus ist ein Gnadenfriedhof angelegt. Eine Mauer aus 19 Gruften von Patrizierfamilien begrenzen diesen fast weitläufigen Park. Sie strahlen in hellem Glanz, wurden erst restauriert.
Nach knapp einer Stunde geht es zurück zum unbetonierten Parkplatz am Burgtor, dem Überbleibsel einer mittelalterlichen Befestigungsanlage.

Das flache Tiefland, in der sich Jelenia Gora befindet, trägt den Namen der Stadt. Den deutschen Namen. Das Hirschberger Tal. Hirschberg, der deutsche Namen Jelenia Goras. Eingekesselt vom Isergebirge, dem bereits erwähnten Riesengebirge und dem Landeshuter Kamm. Innerhalb der Sudeten einer der größten Beckenlandschaften. Nicht schwer, viele gibt es ja nicht. Schon die Preußen entdeckten das Hirschberger Tal für sich. Der Hochadel genauer gesagt. Der errichtete sich prachtvolle Schlösser, Burgen und Landsitze. Darunter Residenzen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm. In vielen Orten sind diese noch erhalten. Manche in Privatbesitz und bestens in Schuss, werden als Hotels betrieben, andere sind leider verfallen. An die 300 sollen es insgesamt sein.
Eines von diesen unzähligen Schlössern steht im Kurort Bad Warmbrunn. Das Herzstück der Promenade, das Zentrum dieses kleinen Kurortes. Eines der ältesten in Schlesien. Über Jahrhunderte hinweg ist es für die radiumhaltigen und heißen Schwefelquellen bekannt. Mit einer Hitze von bis zu 90 Grad Celsius verfügt es über eine Heilkraft von speziell Nieren-, Harnweg- oder Rheumaerkrankungen. Schon im Mittelalter entstanden erste Bade- und Heilanlagen. Große Persönlichkeiten kamen daraufhin. Maler Caspar David Friedrich oder der Dichter des Textes der deutschen Nationalhymne schuf, Hoffmann von Fallersleben. Nicht schlecht. Im 19. Jahrhundert wurden die Anlagen modernisiert, teilweise ersetzt.
Aus der ehemals eigenständigen Stadt ist heute ein Stadtteil Jelenia Goras geworden. Eingemeindet, die Fläche nahtlos zugepflastert. Das wirkt sich spürbar auf den Kurort aus. Von Erholung können wir auf den ersten Blick nichts wahrnehmen. Auf den zweiten ebenso wenig. Liegt an der Luft. Die Feinstaubpartikel sind immens. Nicht nur der Nebel macht die Luft so diesig, der Smog steuert einen großen Anteil bei. Es riecht nach Abgas. Das Atmen fällt schwer, die Lunge wird nicht frei. Sie drückt auf das Gemüt und auf den Schädel. Kopfschmerzen. Der Sinn eines Kurortes ist irgendwie verfehlt. Wir laufen kurz durch das kleine Zentrum, dass die Promenade Plac Piastowski, die sich an der schmalen Brücke über dem Flüsschen Wrozowska entlang zieht, hauptsächlich ist. An der ockerfarbenen, neu sanierten Kirche vorbei. Seit 1774 findet die evangelische Pfarrkirche im Rokoko-Stil an diesem Platz ihren Standort. Ein Brotwagen parkt gerade davor, der Bäcker bietet seine Waren an.
Nur wenige Meter später trifft man auf das eben erwähnte Schloss. Ein prächtiges Palais, so nennt man es wohl, dass in feinem Glanz erstrahlt. Erbaut wurde es, von 1784 bis 1809 in hufeisenartiger Form, von den Schaffgotsch. Ein schlesisches Adelsgeschlecht, die um 1675 die Stadt für sich als Hauptsitz entdeckten. Dementsprechend taten sie viel für den Ort. Die Technische Hochschule von Breslau hat im Schaffgotschen Palais eine Außenstelle eingerichtet. Sinnvolle Verwendung.
Gegenüber erstrecken sich die Läden, Cafes, Restaurants und Geschäfte, die die Flaniermeile mit Leben füllen. Komischerweise heute nicht, möge am leicht einsetzenden Nieselregen und an der Luft liegen. Vielleicht. Manche Häuser vermitteln durch ihre warmen Farben einen charmanten Charakter, können auf ein beachtliches Alter verweisen. Bei anderen dringt vermeintlich die sozialistische Ader hervor. Nach dem Motto: quadratisch, praktisch, gut. Von den Hinterhöfen ganz zu schweigen. Der Blick auf die katholische Pfarrkirche gen Westen des Plac Piastowski ist unverkennbar. Die Grabplatten der Familie Schaffgotsch sind in der Wand eingemauert, wenn auch heute nicht mehr allzu gut lesbar.
Hinter dem eindrucksvollen Schloss erstreckt sich der großflächige Kurpark. Einladend zum Spazieren. Große Wiesen, breit angelegte Wege. Auf einer der Parkbänke kann man zur Ruhe kommen. Inmitten des Parks, der seit den 1830er Jahren im englischen Stil angelegt ist, befindet sich das Kurhaus. Ein Cafe ist darin beheimatet. Daneben gibt es eine Bühne, auf der in den Sommermonaten regelmäßig Konzerte und Aufführungen stattfinden. An den Kurpark schließt sich der Norwegische Park nahtlos an, früher soll er Füllnerpark geheißen haben. Im dortigen Blockhaus befindet sich ein Naturwissenschaftliches Museum. Viel Oase meint man. Doch eine Kleinigkeit stimmt nicht. Man fühlt sich selbst nicht wie in einem Kurort. Der ohrenbetäubende Lärm von der Bundesstraße nebenan, die mit hohen Feinstaub belastete Luft drückt auf den Kopf. Nicht erholend. Dabei ist Bad Warmbrunn, das im Polnischen Cieplice Zdroj heißt, einer der traditionsreichsten Kurorte Schlesien. Wir werden nicht so wirklich warm hier.

Karpacz ist auf unser heutigen Tour unser nächstes Ziel. Auf dem Weg dorthin passieren wir den Ort Podgozyn. Es liegt im Übergang zwischen dem Hirschberger Tal und dem Gebiet des Riesengebirges. Teilweise ziert eine Eichenallee die Straße.
Nördlich von Podgozyn fallen uns einige aneinandergereihten Teiche ins Auge. Die miteinander verbundenen Fischteiche sollen auf das 13. Jahrhundert zurückgehen, eine herausragende Besonderheit. Südlich, dem bei einigen Touristen beliebten Ort liegt der Sosnowka-Talsperre. Ein kleiner See, nur 1,5km lang.
Karpacz ist der größte Ort im Riesengebirge, auf polnischer Seite wohlgemerkt. Er erstreckt sich mit seinen 5000 Einwohnern langgezogen am Berghang. Mit einer Höhe von 500 bis 800m verfügt der Ort allerdings über eine geringe Garantie der Schneesicherheit. Das merken wir, nichts ist von einer weißen Pracht zu sehen. Nur der Kunstschnee lässt Skifahren zu. Der Lift, der unmittelbar im Ort endet, ist geöffnet. Die Skibegeisterten stürzen sich die sanften Pisten hinunter.
Nichtsdestotrotz gehört es mit Szlarska Poreba zu den wichtigsten Tourismuszentrum der Region. Fast 9000 Betten stehen den Urlaubern für die Übernachtung zur Verfügung. Das große Plus Karpacz ist die Lage. Ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge ins Riesengebirge. Wandern, Mountainbiking oder Skifahren. Einst wurde der Ort mit dem deutschen Namen Krummhübel bekannt durch den Abbau von Blei, Eisen und Edelsteinen. Für negative Schlagzeilen sorgte man im Zweiten Weltkrieg, als ein Zentrum der Nationalsozialisten im schlesischen Provinzgebiet. Juden wurden enteignet.
Die Kirche Wang ist das attraktivste und herausragendste Bauwerk. Mit Abstand und ohne jeden Zweifel. Eine Kirche aus Holz. Preußens König Friedrich Wilhelm IV. erwarb sie in Oslo und ließ sie nach Berlin bringen. Der Plan, sie dort weder aufzubauen, scheiterte. Also kam sie auf Drängen von Frederike von Reden nach Krummhübel. Feierliche Eröffnung war dann 1844. Eine Touristenattraktion seinesgleichen.
Das charakteristisches Gotteshaus besteht aus einen vierstufigen Aufbau. Die drei Portale sind von großem künstlerischen Wert. Einzig der Glockenturm wurde aus Stein erbaut, der Schutz vor den Gebirgswinden hat Vorrang.
Im Inneren wirkt sich die Kraft des Holzes vollends aus. Beeindruckend. Das Holz knarzt unter den Füßen, die Wandvertäfelungen glänzen im elektrischen Licht. Vor uns der recht einfache Altar, hinter uns die Orgel auf der Empore. Wir setzen uns auf einen der Stühle, lassen das Ganze auf uns wirken, schauen uns in Ruhe um. Der Platz im Innenraum ist eng bemessen.
Wir sind neugierig. Ein Laubengang führt rundherum. Wir gehen ihn ab, blicken durch die Rundbogenfenster nach innen. Der Laubengang wird für den Ausgang genutzt. Ein touristischer Kreislauf. An frequentierten Tagen definitiv erforderlich.
Neben der Kirche befindet sich ein Friedhof. Die Grabsteine haben zum Großteil deutsche Namen eingraviert. 1944 wurde er angelegt. Zwei Jahre später wurde er nicht mehr benutzt. Bis 2001. Da wurde das Verbot aufgehoben. Daher die neuen und sehr gut erhaltenen Grabsteine.
Normalerweise hat man von hier eine grandiose Sicht ins Hirschberger Tal. Heute nicht, dichter Nebel verhindert das. Schade.

Es geht quer parallel zum Riesengebirge in Richtung Szlarska Poreba. Links die Berge des Riesengebirges, rechts die Weiten des Hirschberger Tals. In Piechowice geht es für uns nicht weiter. Eine Brücke über ein mickriges Flüsschen wird saniert. Eine Umleitung ist nicht ausgeschrieben. Wir schauen in den Atlas und ins Navigationsgerät, suchen nach einer Alternative. Plötzlich klopf es an der Scheibe. Eine alte Frau lächelt uns an. Völlig überrascht und erschrocken sind wir. Wir lassen das Fenster etwas ängstlich herunter. Sie will uns helfen. Mit einem Mix aus Deutsch und Englisch kann sie uns weiterhelfen. Ein lustiger und charmanter „Zwischenfall“. Artig bedanken wir uns.
Szlarska Poreba, fast ein Zungenbrecher. Auf deutsch ist es einfacher: Schreiberhau. Gelegen am Nordhang des Riesengebirges, direkt am Neuweltpass. Das polnische Wintersportzentrum des Riesengebirges. Nur sehen wir nicht viel von den 7000-Einwohner-Stadt. Der Nebel gibt uns keine Chance. Unmöglich. Es bringt nichts. Das Haus vom hier wirkenden Schriftsteller des Naturalismus Gerhart Hauptmann können wir uns schenken. Wie die anderen Gebäude und Attraktionen auch. Szlarska Poreba steht nicht nur für Wintersport, ein Langlauf-Weltcup fand 2014 statt, sondern hauptsächlich für die Outdoor-Sportarten in den Sommermonaten. Mountainbiking und Wandern in der umliegenden Natur mit dem riesigen Wegenetz stehen ganz oben in der Rangliste. In der Vergangenheit war es ein traditionsreicher Ort der Glasindustrie. Über Jahrhunderte hinweg prägte dieses wertvolle Handwerk das Leben der Menschen in Schreiberhau. Neugierig hat sie mich gemacht, die Stadt Szlarska Poreba. Ich werde wiederkommen.

Damit neigt sich die erste Etappe unserer Reise dem Ende entgegen. Einen Teil Niederschlesiens lassen wir nun hinter uns.Eine ländlich geprägte Region. Strukturschwach heiß das im politisch korrekten Fachjargon. Eine Urtümlichkeit hat sich der Landstrich bewahrt, eine gewisse Rauh- und Wildheit ist nicht von der Hand zu weisen.

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