Harrachov, zu deutsch Harrachsdorf.
Vorher dachte ich, es sei ein Miniort, 500 Einwohner, mehr nicht. Am
nördlichsten Zipfel gelegen, einsam zwischen den Gipfeln des Riesen-
und Isergebirges, die Staatsgrenze zum Nachbarland Polen ist nur
wenige hundert Meter entfernt.
Wir erreichen Harrachov aus polnischer
Richtung, über den Neuweltpass. Einem der wichtigsten Bergübergänge
der Sudeten. Zwischen Böhmen und Schlesien, zwischen Tschechien und
Polen. 886m über dem Meeresspiegel. Schnee liegt nicht, keine Spur.
Nur Nebel. Dazu die Dunkelheit.
Schnell in das Appartement eingecheckt,
eine Wohlfühloase. Das beste Quartier auf unserer gesamten Reise.
Der Empfang des Inhabers ist freundlich und offen, in sehr gutem
Englisch begrüßt et uns. Er staunt, was wir noch vor haben, welch
lange Reise vor uns liegt, gibt uns zusätzlich noch Tipps für
Harrachov.
1500 Menschen leben in dem
langgezogenen Ort. Mehr als ich dachte, in dieser doch relativ
abgeschiedenen Region. Liberec ist immerhin schon 40km entfernt. Die
Menschen haben ihre Natur. Die ist grandios. Das spüren wir gleich
zu Beginn.
Mumlavka-Wasserfall






Der Mumlavka-Wasserfall ist unser
erstes Highlight in Harrachov. Eine kleine Wanderung führt uns durch
einen dicht bewachsenen Wald am Ortsrand zur polnischen Seite, auch
hier vegetieren ehemalige Hotels als Ruinen zwischen Bäumen dahin.
Sie hatten einst ein besseres Leben. Der Weg führt leicht bergan.
Anfangs ist er asphaltiert, später Schotter. Nach geschätzten 20
Minuten sind wir an einem besonderen Naturspektakel, dem Mumlavka
Wasserfall. Der gleichnamige Fluss war schon seit längerem an
unserer rechten Seite in 100m Luftlinie zu sehen. An jener Stelle
fällt er 10m in die Tiefe, das Wasser spritzt auf, die Gischt trübt
den klaren Blick. Ein brillantes Naturschauspiel. Von der
überquerenden Holzbrücke hat man einen perfekten Blick auf ihn. Für
einige Zeit bleiben wir stehen, können uns nicht satt genug sehen.
Der Fluss bahnt sich seinen Weg durch schweres Geröll und einem Meer
von Steinen, die er im Laufe der Jahre abgeschliffen hat. Auf den
Steinen klettern wir kurzzeitig durch den Fluss, immer darauf bedacht
keine nassen Füsse zu bekommen. Es lohnt sich, mitten m Fluss
erleben wir Mutter Natur. Dieses klare Wasser, beinahe
Trinkwasserqualität, die Verfärbungen des Gesteins. Wie wunderschön
Natur ist, nur ein erster Vorgeschmack auf die des Riesengebirges.
Hier beginnt offiziell das Gebiet des Nationalparks auf tschechischer
Seite. Rückwärts geht es direkt am Fluss entlang, es geht hinab.
Die Mumlava rauscht lautstark und schäumend ehe sie sich zügig
wieder beruhigt. Über eine Holzbrücke gelangen wir nahe den ersten
Häusern des Ortes zu unserem Ausgangspunkt, ein Parkplatz am
Ortsausgang Richtung Szlarska Poreba, zurück. Insgesamt waren wir
für die Runde knapp 50 Minuten unterwegs. Also ein gern genommener,
lohnender kurzer Abstecher.

Glas, Glas, Glas


Große Tradition hat die Stadt im
Hinblick auf die Glasbläserei. Kunstvolles Handwerk. Der wichtigste
Wirtschaftsfaktor. Das Glas aus Harrachov erlangte großes Prestige
im europäischen Raum. Im 18. Jahrhundert gab es die erste Glashütte,
viele folgten. Eng mit ihrer Geschichte ist eben die der Stadt
generell verbunden. Heute erinnert daran ein Glasmuseum. Das
barockfarbene Ocker der Außenfassade ist nicht zu übersehen, damit
auch nicht das Museum, das zusätzlich noch verkehrsgünstig an der
Hauptkreuzung der Stadt liegt. Nebenan steht noch das weiße
Fabrikgebäude, in der angeblich noch immer Glas in reichlicher
Vielfalt produziert wird. Sie gilt als die älteste Tschechiens.



Von dort geht es ins Zentrum. Wenn man
es so nennen will. Eigentlich gibt es das nicht. Es ist eine Straße.
Hotels, Pensionen, Appartements, Restaurants und Sportläden säumen
sie. Im Moment hat es nur wenige Touristen hierher verschlagen. Keine
Schnee, keine Ferien, keine Hochsaison. Der Tourismus ist die
wichtigste Einnahmequelle. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten.
Viele wollten auf den Zug des lieben Geldes aufspringen. Einige
konnten nicht darauf bleiben. Verwahrloste Ruinen, von Vandalismus
demoliert, sind die Folge. Schandflecken im sonst putzigen und
durchaus aufgeweckten Ortsbild. Sachlichkeit eben. Auch die so
typischen tschechischen mittelgebirgischen Holzhäuser sind darin
verankert. Schon im Erzgebirge charakterisieren sie die Ortsbilder,
verschwinden jedoch zunehmend aus ihnen. Dem Pragmatismus wohl
geschuldet.


Auf unserem Streifzug kommen wir an
einem unschönen Ereignis vorbei. Polizisten stehen mit einer
Handvoll Menschen in einer Traube. Deutsche Touristen. Aus Pirna. Die
Scheibe ihres Wagens ist eingeschlagen, über Nacht. Täter
unbekannt. Die Suche ist
beschwerlich. Die Opfer kehren die letzten Reste der gesplitterten
Scheibe zusammen und erklären nebenbei den Polizisten ihren Unmut.
Wir können sie verstehen, extrem ärgerlich. Auch das gibt
es im Grenzgebiet. Vielleicht nur ein Einzelfall.
Monsterbakken


Für viele ist der Ort aus dem
Fernsehen ein Begriff, vor allem für die Wintersportfreunde.
Alljährlich findet auf den Skiflugschanzen ein Skisprung-Weltcup
statt. Manchmal auch ein Weltmeisterschaft dieser speziellen
Disziplin. Nur fünf dieser Art gibt es in der Welt. Über 200m
fliegen die Athleten die Certak-Schanze hinunter. Ein Wahnsinn. Sie
thronen über dem Ort, sind vom Zentrum aus selbst im Nebel
erkennbar. Die Tradition des Wintersports, insbesondere des
Skispringens, ist lang in Harrachov. Bereits in den 20er Jahren des
20. Jahrhunderts wurden erste Schanzen zu Wettkampfzwecken errichtet.
Die Skiflugschanze wurde 1980 errichtet, im Lauf der Jahre mehrmals
modernisiert. Klar, dass wir die nicht nur aus der Ferne anschauen
wollen. Aus der Nähe sehen wir auch nicht viel mehr. Der Nebel ist
zu stark, regelrecht eine Suppe. Die Dimension ist trotzdem
beeindruckend. Der Auslauf, die Steilheit des Aufsprunghanges, die
riesige Anzeigetafel oder der Kampfrichterturm. Schnee liegt keiner,
wie im gesamten Ort. Alles grün.
Skifahren ist ebenfalls unmöglich. Die
kurzen, aber recht steilen Skihänge, ein respektables
Wintersportzentrum, sind nur teilweise mit Schneehäufen bedeckt.
Keine Chance.
Nach einem Tag verlassen wir das nicht
ganz so kleine Harrachov, dass nicht nur ein Zentrum Tschechiens im
nördlichsten Zipfel des Landes ist, sondern eines des gesamten
Gebietes rund um das Riesengebirges. Schönere Orte gibt es
sicherlich. Das sucht der Urlauber in Harrachov auch nicht. Vor allem
durch die traumhafte Natur ist das Städtchen für Liebhaber ein
Paradies und mehr als attraktiv. Ein lohnenswertes Ziel, fernab von
den herausgeputzten Bergzentren der Alpen. Eine andere Kultur eben.
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