30 Mai 2015

Fast in Polen – Harrachov zwischen Iser- und Riesengebirge (Teil 2)



Harrachov, zu deutsch Harrachsdorf. Vorher dachte ich, es sei ein Miniort, 500 Einwohner, mehr nicht. Am nördlichsten Zipfel gelegen, einsam zwischen den Gipfeln des Riesen- und Isergebirges, die Staatsgrenze zum Nachbarland Polen ist nur wenige hundert Meter entfernt.
Wir erreichen Harrachov aus polnischer Richtung, über den Neuweltpass. Einem der wichtigsten Bergübergänge der Sudeten. Zwischen Böhmen und Schlesien, zwischen Tschechien und Polen. 886m über dem Meeresspiegel. Schnee liegt nicht, keine Spur. Nur Nebel. Dazu die Dunkelheit.



Schnell in das Appartement eingecheckt, eine Wohlfühloase. Das beste Quartier auf unserer gesamten Reise. Der Empfang des Inhabers ist freundlich und offen, in sehr gutem Englisch begrüßt et uns. Er staunt, was wir noch vor haben, welch lange Reise vor uns liegt, gibt uns zusätzlich noch Tipps für Harrachov.

1500 Menschen leben in dem langgezogenen Ort. Mehr als ich dachte, in dieser doch relativ abgeschiedenen Region. Liberec ist immerhin schon 40km entfernt. Die Menschen haben ihre Natur. Die ist grandios. Das spüren wir gleich zu Beginn.

Mumlavka-Wasserfall





Der Mumlavka-Wasserfall ist unser erstes Highlight in Harrachov. Eine kleine Wanderung führt uns durch einen dicht bewachsenen Wald am Ortsrand zur polnischen Seite, auch hier vegetieren ehemalige Hotels als Ruinen zwischen Bäumen dahin. Sie hatten einst ein besseres Leben. Der Weg führt leicht bergan. Anfangs ist er asphaltiert, später Schotter. Nach geschätzten 20 Minuten sind wir an einem besonderen Naturspektakel, dem Mumlavka Wasserfall. Der gleichnamige Fluss war schon seit längerem an unserer rechten Seite in 100m Luftlinie zu sehen. An jener Stelle fällt er 10m in die Tiefe, das Wasser spritzt auf, die Gischt trübt den klaren Blick. Ein brillantes Naturschauspiel. Von der überquerenden Holzbrücke hat man einen perfekten Blick auf ihn. Für einige Zeit bleiben wir stehen, können uns nicht satt genug sehen. Der Fluss bahnt sich seinen Weg durch schweres Geröll und einem Meer von Steinen, die er im Laufe der Jahre abgeschliffen hat. Auf den Steinen klettern wir kurzzeitig durch den Fluss, immer darauf bedacht keine nassen Füsse zu bekommen. Es lohnt sich, mitten m Fluss erleben wir Mutter Natur. Dieses klare Wasser, beinahe Trinkwasserqualität, die Verfärbungen des Gesteins. Wie wunderschön Natur ist, nur ein erster Vorgeschmack auf die des Riesengebirges. Hier beginnt offiziell das Gebiet des Nationalparks auf tschechischer Seite. Rückwärts geht es direkt am Fluss entlang, es geht hinab. Die Mumlava rauscht lautstark und schäumend ehe sie sich zügig wieder beruhigt. Über eine Holzbrücke gelangen wir nahe den ersten Häusern des Ortes zu unserem Ausgangspunkt, ein Parkplatz am Ortsausgang Richtung Szlarska Poreba, zurück. Insgesamt waren wir für die Runde knapp 50 Minuten unterwegs. Also ein gern genommener, lohnender kurzer Abstecher.





Glas, Glas, Glas

Große Tradition hat die Stadt im Hinblick auf die Glasbläserei. Kunstvolles Handwerk. Der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Das Glas aus Harrachov erlangte großes Prestige im europäischen Raum. Im 18. Jahrhundert gab es die erste Glashütte, viele folgten. Eng mit ihrer Geschichte ist eben die der Stadt generell verbunden. Heute erinnert daran ein Glasmuseum. Das barockfarbene Ocker der Außenfassade ist nicht zu übersehen, damit auch nicht das Museum, das zusätzlich noch verkehrsgünstig an der Hauptkreuzung der Stadt liegt. Nebenan steht noch das weiße Fabrikgebäude, in der angeblich noch immer Glas in reichlicher Vielfalt produziert wird. Sie gilt als die älteste Tschechiens.








Von dort geht es ins Zentrum. Wenn man es so nennen will. Eigentlich gibt es das nicht. Es ist eine Straße. Hotels, Pensionen, Appartements, Restaurants und Sportläden säumen sie. Im Moment hat es nur wenige Touristen hierher verschlagen. Keine Schnee, keine Ferien, keine Hochsaison. Der Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Viele wollten auf den Zug des lieben Geldes aufspringen. Einige konnten nicht darauf bleiben. Verwahrloste Ruinen, von Vandalismus demoliert, sind die Folge. Schandflecken im sonst putzigen und durchaus aufgeweckten Ortsbild. Sachlichkeit eben. Auch die so typischen tschechischen mittelgebirgischen Holzhäuser sind darin verankert. Schon im Erzgebirge charakterisieren sie die Ortsbilder, verschwinden jedoch zunehmend aus ihnen. Dem Pragmatismus wohl geschuldet.

Auf unserem Streifzug kommen wir an einem unschönen Ereignis vorbei. Polizisten stehen mit einer Handvoll Menschen in einer Traube. Deutsche Touristen. Aus Pirna. Die Scheibe ihres Wagens ist eingeschlagen, über Nacht. Täter unbekannt. Die Suche ist beschwerlich. Die Opfer kehren die letzten Reste der gesplitterten Scheibe zusammen und erklären nebenbei den Polizisten ihren Unmut. Wir können sie verstehen, extrem ärgerlich. Auch das gibt es im Grenzgebiet. Vielleicht nur ein Einzelfall.
Monsterbakken
Für viele ist der Ort aus dem Fernsehen ein Begriff, vor allem für die Wintersportfreunde. Alljährlich findet auf den Skiflugschanzen ein Skisprung-Weltcup statt. Manchmal auch ein Weltmeisterschaft dieser speziellen Disziplin. Nur fünf dieser Art gibt es in der Welt. Über 200m fliegen die Athleten die Certak-Schanze hinunter. Ein Wahnsinn. Sie thronen über dem Ort, sind vom Zentrum aus selbst im Nebel erkennbar. Die Tradition des Wintersports, insbesondere des Skispringens, ist lang in Harrachov. Bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden erste Schanzen zu Wettkampfzwecken errichtet. Die Skiflugschanze wurde 1980 errichtet, im Lauf der Jahre mehrmals modernisiert. Klar, dass wir die nicht nur aus der Ferne anschauen wollen. Aus der Nähe sehen wir auch nicht viel mehr. Der Nebel ist zu stark, regelrecht eine Suppe. Die Dimension ist trotzdem beeindruckend. Der Auslauf, die Steilheit des Aufsprunghanges, die riesige Anzeigetafel oder der Kampfrichterturm. Schnee liegt keiner, wie im gesamten Ort. Alles grün.



Skifahren ist ebenfalls unmöglich. Die kurzen, aber recht steilen Skihänge, ein respektables Wintersportzentrum, sind nur teilweise mit Schneehäufen bedeckt. Keine Chance.

Nach einem Tag verlassen wir das nicht ganz so kleine Harrachov, dass nicht nur ein Zentrum Tschechiens im nördlichsten Zipfel des Landes ist, sondern eines des gesamten Gebietes rund um das Riesengebirges. Schönere Orte gibt es sicherlich. Das sucht der Urlauber in Harrachov auch nicht. Vor allem durch die traumhafte Natur ist das Städtchen für Liebhaber ein Paradies und mehr als attraktiv. Ein lohnenswertes Ziel, fernab von den herausgeputzten Bergzentren der Alpen. Eine andere Kultur eben.


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