05 Juli 2015

Im Ruhrgebiet Polens (Teil 28)



 
Katowice. Das polnische Ruhrgebiet. Bereits von der Autobahn sieht man die riesigen Industrieanlagen mit ihren Fördertürmen. 310000 Menschen leben in der Stadt, im oberschlesischen Ballungsraum, zu dem Katowice gehört, sind es sogar 3,5 Millionen Menschen.
 




Katowice ist das Zentrum des Oberschlesischen Industriegebiets. Es ist das wichtigste in Polen. Der Steinkohlebergbau und die Schwerindustrie sind die Hauptwirtschaftszweige, die mehr und mehr durch die Elektro- und Informationstechnologie Zuwachs erhalten. Zürück in die Zukunft.

Dabei musste man einige Hürden überwinden. Die Wende 1989 zum Beispiel. Die Planwirtschaft war passe, die freie Marktwirtschaft hielt Einzug. Privatisierung statt Verstaatlichung. Mit großer Auswirkung für die Industrieregion. Hunderttausende von Arbeitsplätze gingen flöten. Die Berg- und Hüttenwerke haben allmählich ausgedient. Wie das Ruhrgebiet in Deutschland, so auch das Oberschlesische Industriegebiet. Kein Ort kann das besser ausdrücken als Katowice. Mittlerweile hat man sich gefangen, trotzdem muss man sich dem Strukturwandel stellen. Hat man. Vom stillgelegten Steinkohlebergwerk zur riesigen Shopping-Mall, durch den Umbau des Hauptbahnhofs entstand wiederum ein Einkaufszentrum. Die Stadt wandelt sich, Investitionen sind stets nötig. Große und bedeutende europäische Firmen haben eine Niederlassung in Katowice. Ein Beweis für den Standort.

Verkehrstechnisch ist der beinahe perfekt ausgebaut. Die Ost-West-Autobahn führt quasi durch das Stadtgebiet, die Nord-Süd-Verbindung nach Warschau ist nur einen Steinwurf entfernt. Auf der Schiene ist man ein extrem gut ausgebauter Knotenpunkt, der führende des Landes. Dazu der internationale Flughafen. Ein Zentrum eben.
Das Leben pulsiert in den Straßen. Die Autos quetschen sich durch die Straßen. Die Straßenbahn durch donnert über die Gleise. Vorbei an den Hochhäusern, den Altbauten und den riesigen modernen Wohnblöcken. Funktionalität, Einfachheit und Bodenständigkeit prägt das Leben in der Stadt. Pragmatismus.
Katowice ist nicht nur wirtschaftlich bedeutend im schlesischen Gebiet. Die Kultur und die Bildung spielen ebenso eine übergeordnete Rolle. Über 45000 Menschen studieren an der Schlesischen Universität. Die ist aber nicht die einzige. Technische Universität und diverse Hochschulen vervollständigen das umfangreiche Bildungsangebot. Kumuliert kommt man angeblich eine Zahl von nahezu 100000 Studienplätzen aller Fakultäten. Beachtliche Zahl.
Ein Institut ragt nicht nur architektonisch heraus. Die Schlesische Bibliothek ist die modernste Polens. Das futuristisch anmutende Gebäude orientiert sich an den Standards und Maßstäben des vereinten Europas.
Das Schlesische Theater dagegen, gehörte eher in die Kategorie neoklassizistische Architektur. 1907 eröffnete man das Theater am zentral gelegenen Ring. Für damalige Katowicer Verhältnisse ein überdurchschnittlich großes. Der einfarbige Anstrich strahlt ein wenig Trostlosigkeit und Langweiligkeit aus. Verzierungen und Reliefs gehen, auch durch die Farbe, unter.

Wer den Drang nach Museumsbesuch verspürt, der kann sich im Schlesischen Museum austoben. Das ehemalige Grand Hotel Wiener, ein repräsentatives Gebäude aus der Neurenaissance, wurde 1984 wiederbelebt. Das Vorgängergebäude wurde von den Nazis 1939 plattgemacht, nachdem es 14 Jahre zuvor gegründet wurde. Die Exponate raubten die Schergen um Hitler natürlich. Beide Bauwerke sind seit 2014 Geschichte. Ein neuer Ort wollten die Stadtoberhäupter finden. Eine ehemalige Zeche schien der geeignete. Zur Geschichte Schlesien passt die Wahl in jedem Falle. Ausstellungsstücke archäologischer und ethnologischer Art, Gemälde aus dem 19. und 20. Jahrhundert und Sondervorführungen umfassen das Spektrum.
Die reine Geschichte Katowices wird in einem separaten Museum erzählt. Originale Dokumente und Bilder, nachempfundene Wohnungen als Darstellung des typisch großbürgerlichen Lebens aus vergangenen Tagen untermauern die harten Fakten. Der Aufschwung der preußischen Stadt begann mit der Verlegung der Eisenbahndirektion. Schon zum Ende 19. Jahrhundert hatte man sich zum Knotenpunkt auf Schienen entwickelt, nachdem man kurz vorher noch an den Konsequenzen des Zollkrieges zwischen Russland und Deutschland eisern zu spüren bekam. Das verstummte endgültig mit der Ansiedlung von Großkonzernen. Die Schwerindustrie boomte.

Den Ersten Weltkrieg überstand man unbeschadet. Ein Glück für Katowice, vor allem für die kommenden Zwischenkriegsjahren. Vorausgegangen waren die Gebietskonflikte um Schlesien. Polen wollte es, die Deutschen wollten es. Die Siegermächte waren sich uneins. 2/3 erhielten nun schlussendlich die Deutschem, 1/3 die Polen, einschließlich Katowice. Das Ende vom Lied war nun, die Bevölkerungsanteile verschoben sich. Katowice wuchs und wuchs, doppelt so stark. Man war die Hauptstadt des autonomen Schlesien. Das Parlamentsgebäude entstand, Hochhäuser und Wolkenkratzer wurden hochgezogen, große öffentliche Bauten wurden aus dem Boden gestampft. Sie wurden errichtet, um die Bedeutung der Stadt zu unterstreichen. Der Wolkenkratzer Drapacz
Chamur, das Altus-Hochhaus oder der Schlesische Sejm stammen aus jenen Jahren.

Den 2. Weltkrieg überstand Katowice nur mit einigen Schäden. Besonders die Juden erlitten ihr Schicksal. Unmittelbar nach der Befreiung wurde es noch nicht besser. Die Rote Armee hatte die Gewalt inne. Die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben. Eine Minderheit nur geduldet. Mehr und mehr entwickelte sich Katowice zur Musterstadt. Die Stadtumbenennung von 1953 bis 1956 manifestierte den Status. Stalinograd. Kommunistischer, sozialistischer und ja russischer geht es nicht mehr. Ein Meer von Plattenbauten und riesige Wohnblöcken wurden gebaut. Teilweise 16-stöckig, wie der namens Superjednoska. Man warb mit jener futuristischen Architektur für das neue sozialistische Polen. Die historische, urbane Struktur aus den Nachkriegsjahren ging verloren. Das ist heute im Stadtbild natürlich nicht zu übersehen.

Das imposantesten Bauwerke ist sicherlich die König-Christus-Kathedrale. Sie ist erst im 20. Jahrhundert errichtet worden. Eine recht junge Kirche. Sie gehört zu den größten in Polen. Ihre klassizistischen Merkmale verleihen eine gewisse Sachlichkeit, Bodenständigkeit und Zurückhaltung. Ihre sandsteinfarbene Außenfassade unterstreicht das umso stärker. Von Protz und Prunk ist nichts zu sehen. Gut so, alles andere würde zu dieser Arbeiterregion nicht passen. Südlich der König-Christus-Kathedrale, irgendwie ein eigenartiger Name, befindet sich der Erzbischöfliche Palast. In dem Museum wir die oberschlesische Kirchenkunst präsentiert. Wertvolle Madonnenfiguren und Kirchengemälde sind in den Räumen und Galerien ausgestellt.
Nebenan diente die backsteingotische Gotteshaus jahrzehntelang als Bischofskirche der katholischen Dioziöse.
Wer in Katowice das alte, urbane und historische eben vergangener Tage entdecken will, der merkt schnell, dass er das nicht finden wird. Katowice ist keine prunkvolle und prächtige Stadt, die auf den Putz haut. Keine oberflächliche Stadt. Menschen arbeiten in den Kohlebergwerken hart für ihr Einkommen. Dabei muss man sich mit dem strukturellen Wandel nicht erst seit gestern auseinandersetzen und neu zurechtfinden. Nicht einfach, das tut weh, das verändert zwangsläufig die Menschen, die Stadt und die Region. Ein Spiegelbild des gesamten Polens, das sich ohne Zweifel auf das deutsche Ruhrgebiet pro jezieren lässt. Dem ergeht es ähnlich.



 



 

 







 

 


 

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