15 Mai 2014

"Little Berlin" - Ein Symbol deutscher Geschichte









Mödlareuth, ein 50-Seelendorf an der Grenze von Thüringen zu Bayern. Sachsen ist auch nur einen Steinwurf entfernt.  Die wenigen Häuser sind umgeben von blühend gelben Rapsfeldern, saftig grünen Wiesen und Wäldern. Der kleine Tannbach plätschert mitten durch den Ort. Der Dorfteich nebenan. Ruhe, man hört wenig Lärm. Ein verschlafenes Kleinod, abseits von jeglichem Trubel.  Unbeschwertes Leben, heile Welt, ein ganz normales Dorf. Denkt man.
 
Pure Geschichte. Man kann meinen, sie hat mit Mödlareuth einen bösen Streich gespielt. Ein Schicksal auf Lebzeiten. Symbolisch für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dabei spielt dieser unscheinbare, idyllische Tannbach eine entscheidende Rolle. Als Grenzfluss teilt er ein Dorf seit mehr als 400 Jahren.  Erst die Grenze zwischen dem Markgrafentum Bayreuth und der Grafschaft Reuß, ab 1810 zwischen dem Königreich Bayern und dem Fürstentum Reuß.  Die Menschen lebten zwar in verschiedenen Ländern auf dem Papier, aber nicht im Alltag. Es gab eine Schule, ein Wirtshaus, für alle Dorfbewohner. Bis 1949 war das Leben kein Problem. Das änderte sich mit der Gründung der beiden deutschen Staaten, der BRD und der DDR. Der Hintergrund mit der amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone ist allgemein bekannt. Das Überqueren der Grenze, das Besuchen der Verwandtschaft und der Freunde war nur noch mit Passierschein möglich. Für mich heute unvorstellbar. Ich bin auch ein „Kind des Ostens“, zwei Jahre meines Lebens durfte ich die Deutsche Demokratische Republik noch unbewusst miterleben. Ohne die Öffnung wäre auch ich in meiner Freiheit, in meinem Leben beschränkt.  Ein Wahnsinn. Das Glück, welches wir heute haben,  wird mir im winzigen Mödlareuth wieder verstärkt bewusst. Das Auto  wird auf dem großen Parkplatz abgestellt, am Ortsausgang in Richtung Töpen oder Hirschberg. Einige Autos stehen schon da, alle mit ortsfremden Kennzeichen, wie Bonn, Jena, Leipzig oder Dresden und Chemnitz. Von weiten sehen wir Menschen das Museumsgelände erkunden.
 
Die Mauer ist für jeden sichtbar. Sichtbar, wie sie das Dorf, die Landschaft, das Land trennt.  Da geht der Panzer aus alten Militärszeiten direkt am Parkplatz unter. Wir gehen den Weg der Mauer entlang, vor zur Kasse. Für drei Euro kann das Freigelände, eine Ausstellung und einen 20 minütigen Film besucht werden. Dazu müssen wir über den  Bach. Eine alte Straßensperrung ist am Ende der „Brücke“ aufgebaut. Daneben das Ehrendenkmal des bayerischen Ministerpräsidenten  an den „Vater der Einheit“: Helmut Kohl.
Im Museumsgebäude, ein Museumsshop ist auch untergebracht, schauen für uns den Film an. Sehr informativ, kurz und knapp. Man bekommt einen raschen Überblick über die DDR-Zeit und das Leben mit der Mauer. Schnell war die Zeit vorbei.  
Museumseingang
Zur Ausstellung, eine Etage darüber, müssen wir wieder hinaus, den Weg noch 20m hoch gehen. Das zwanzigste Jahrhundert wird mir durch nackte Fakten in Erinnerung gerufen.  Vom Beginn allen Übels, dem ersten Weltkrieg, bis zur Friedenszeit in Europa, der Europäischen Union. An den an Maschendrahtzaun hängenden Schautafeln kann man diese ereignisreichen 100 Jahre Geschichte Revue passieren lassen. Eine Auffrischung, ein Großteil ist ja bekannt, dürfte es zumindest.  Im hinteren Teil des großen Raumes sind verschiedene Utensilien aus der Grenzzeit in diversen Vitrinen präsentiert. Alte Tretminen, Polizistenkleidung aus beiden deutschen Ländern, ein Schaumodell des geteilten Mödlareuth und der damalige Grenzzaun und Grenzstein der DDR. Die Schautafeln über das Leben auf beiden Seiten und dem Zusammenleben nach der Grenzöffnung zeigen welch Steine diesem kleinen Ort in den Weg gelegt wurden.
Gegenüber liegt das Depot. Eine Art Ausstellungshalle. Verschiedene Fahrzeuge aus Ost  und West sind darin in Reihe und Glied platziert.  Ein Großteil darunter sind Polizei- oder Militärfahrzeuge. Lastkraftwagen, Trabis und Wartburgs, VW Bullis und Jeeps, die nostalgischen Schwalben und ein ausgedienter Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes. Hineinsetzen darf man sich nicht, verständlicherweise. Sie befinden sich in einem sehr guten Zustand. Ob sie noch fahrtüchtig sind ist eine zweite Frage. Kann ich gar nicht beantworten.

“Little Berlin“

“Little Berlin“ nannten es die Amerikaner. Zwar gab es keinen Checkpoint, darum ist es umso mehr ein Symbol der deutschen Teilung. Bestens zu sehen im Freigelände. Ein Ort der Bedrückung, des Mahnens. Ein erheblicher Teil von der einst 700m langen und 3m hohen Mauer ist noch erhalten, der weißgestrichene Betonklotz mit einer unfassbaren Stabilität. Ein „antifaschistischer Schutzwall“ laut  damaligen SED-Früher Walter Ulbricht. Makaber irgendwie. Es ist nicht nur diese politische „Abgrenzung“, vielmehr diese soziale, gesellschaftliche „Entzweiung“  von Menschen.  Familien (!) wurden getrennt, Freundschaften getrennt. Welch Leid. Erst der Holzbretterzaun ab 1952, später war es ein Maschendrahtzaun, ab 1966  die bereits erwähnte Betonmauer. Immer undurchlässiger, immer mehr verbessert. Als man sich anfänglich noch sehen konnte, durfte man sich nicht mal grüßen, nicht einmal die Hand heben. Selbst der Blickkontakt galt als sozialistisch untreu. Das ist aber noch nicht alles. Die Einwohner, die nahe der entstandenen Grenze ihre Heimat hatten, wurden umgesiedelt. Nicht freiwillig. Zwangsumgesiedelt.  Auf Anweisung ins weitere Hinterland umgefrachtet, die mühevoll aufgebaute Existenz dem Erdboden gleichgemacht.  Von heut auf morgen.  

Beide Überwachungstürme
Die beiden Überwachungstürme stehen noch heute in grellem Weiß. Weiß wie die Unschuld. Beide stehen sich fast gegenüber. Dazwischen nur die Mauer und die Straße, die entlang des Freigeländes führt. Auf einem von den zwei kraxeln wir mittels einer Metallleiter hinauf.  Aus einer Höhe von drei Metern hat man einen passablen Überblick über das gesamte Gelände. Es regnet wieder leicht. Passendes Wetter zu einem nachdenklichen Ort. Ich schüttele das nicht so einfach ab. Weil ich ein sehr freiheitsliebender Mensch bin, der gerne reist, der für neue Dinge immer wieder offen ist, der gerne macht, was er will. Das wäre nur begrenzt möglich gewesen.  Dazu noch das Schicksal der hier lebenden Menschen. Ein Glück, dass das meiner Familie so nicht ergangen ist. Viele alte  „Utensilien und Einrichtungen“ sind noch erhalten.  Ein Erdhügelbunker, als verdeckter Wachpunkt. Eine Hundelaufanlage. Eine Telefonanlage, außer Funktion natürlich.  Die alten Laternen aus DDR- Zeiten hängen noch heute an ihren Masten.  Der Tannbach schlängelt sich unschuldig durch das Gelände. Die Grenzpfähle stehen heute noch. Auf Ostseite der Pfahl in Schwarz-Rot-Gold, dahinter die Betonmauer, auf Westseite ein einfaches Hinweisschild mit der Aufschrift „Landesgrenze“ in Weiß-Blau, dahinter weite saftige Wiesen. Symbolhaft.  Sie kennzeichnen die ehemalige Staatsgrenze. Der Bach ist so breit, dass man problemlos darüber springen kann. Er plätschert vor sich hin.

Schautafeln entlang des Weges durch den Grenzpfad erklären den Besucher die Fakten über die anfängliche Teilung, über das spätere Zusammenleben hinter der Mauer und natürlich der Fall. Die Grenzöffnung.
Einen Monat nach dem Zusammenbruch der DDR, am 09.12.1989, öffnete sich auch die Grenze in Mödlareuth. Zum ersten Mal nach 37 Jahren konnten sich die Menschen wieder in die Arme schließen. Das Ende eins Teils traurigster deutscher Geschichte. Ein gutes Ende für die Menschen in Deutschland. Bereits wenige Monate nach der Wende wurde dieses Museum initiiert und bis heute zum Status als Gedenkstätte ausgebaut.  Heute ist der Ort auch noch geteilt, auf dem Papier aber nur. Das „westliche“ Mödlareuth gehört verwaltungstechnisch  zum Freistaat Bayern, der „östliche“ zum Bundesland Bayern, im Übrigen auch Freistaat. Das kann man, denke ich, verschmerzen. Den Dorfalltag gestaltet und lebt man gemeinsam.
Ehrendenkmal für Helmut Kohl

Auf Grund seiner Bedeutung und seiner Geschichte wurde der Ort immer von bekannten und berühmten Persönlichkeiten besucht, sowohl zu Zeiten der Teilung, als auch zu Zeiten nach der Grenzöffnung. Darunter zahlreiche Bundespräsidenten, Generäle und Militärs der Weltmächte. Altbundeskanzler Helmut Kohl, der „Schaffer der Einheit auf Politikebene“, erhielt vor einigen Monaten eine Auszeichnung für sein Lebenswerk durch den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer.



Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, Petrus hat sich wieder beruhigt. Das Kleinod erstrahlt wieder, die Natur blüht, aber die Geschichte bleibt. Damit auch dieses nachdenkliche Gefühl. Ein Zeugnis der Verbrechen der Diktatur mit hautnaher Anschauung und hautnahem Erlebnis. Das Museum zeigt jegliche Facetten und Aspekte. Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Sehr informativ, sehr anschaulich, mit vielen Illustrationen, mit vielen Reliquien und Erhaltenem aus diesen Zeiten. Wichtiger ist aber dieses Gefühl. Das Mahnende, das Bedrückende, das Nachdenkliche, welches in mir aufkommt. Ich hoffe auch für jeden anderen Besucher in diesem Museum, dem Deutsch-Deutschen  Museum Mödlareuth.

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