08 Oktober 2014

Mostar in der Herzegowina – eine unfassbare Erfahrung (Teil 9)


Mostar übt auf uns eine unheimliche Faszination aus. Die Alte Brücke hat Berühmtheit erlangt. In den Medien war der Ort durch seine schicksalhafte Vergangenheit immer in den Medien präsent. Ein großer Reiz wirkt auf uns. Darum nehmen wir Kurs in die Herzegowina.
Es ist brütend heiß, die Sonne brennt, das Thermometer steigt. Kein Luftzug spürt man auf der Haut. Einzig der Fahrtwind verschafft uns etwas Abkühlung. Links und rechts die steppenartige Landschaft. In der Ferne kann man die Silhouetten der steilen Velez-Berge erkennen.
Metkovic ist sozusagen der letzte Ort auf kroatischer Seite. Die Neretva verzweigt ab hier in mehrere Flussarme, welche dieses fruchtbare Nevreta-Delta entstehen lässt. Sie bestimmt das Leben der kleinen Hafenstadt, da die letzten 25 Km des Flusses für kleine Schiffe befahrbar ist. Somit stellt es natürlich einen wichtigen Transportweg dar, wovon Metkovic merklich profitiert.
Es ist nicht weit zu einer ehemaligen antiken Handelsstadt der alten Römer, von der heute nur noch die Ruinen existieren. Sie wurde im frühen Mittelalter zerstört. Im 19. Jahrhundert wurde bei archäologischen Ausgrabungen die Stadtmauern des Forums, Inschriften und Münzen gefunden. Das alles kann man sich im Archäologischen Museum Narona in dem kleinen Dorf Vid, 4 Km von Metkovic entfernt, besichtigen. Braune Schilder weisen den Weg.
Durch die Herzegowina
Der Grenzpunkt Vgronnic zwischen Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien ist übersichtlich. Auf jeder Seite stehen jeweils zwei Container, in denen die Grenzbeamten die Ausweise der Ein- bzw. Ausreisenden kontrollieren. Die Schlange der Autos ist zum Glück nicht all zu lang. Es geht zügig voran. Trotz Passkontrolle. Auf bosnischer Seite werden wir freundlich begrüßt. Mit einem breiten Lächeln und einem perfekten „Guten Tag Christian“ , „Guten Tag Vera“ begrüßt er uns in seinem Land. Nun sind wir in diesem Land, das wie Kroatien und Slowenien zu dem Vielvölkerstaat Jugoslawien gehörte und seit dem Zusammenfall 1991 einen blutigen, 3 Jahre dauernden Krieg zu verdauen hat. Unterwegs sehen wir kroatische Trikots an den Häusern wehen. Nur ein kleines Indiz auf das Problem der Region.
Die Straße führt uns weiter durch das Tal der Neretva. Mal ist es breiter, mal wieder enger und die Berghänge türmen sich links und rechts gen Himmel. Die Neretva-Bosna-Furche, so heißt diese Verbindung von der Adria bis zur bosnischen Hauptstadt Sarajevo, ist der wichtigste Verkehrskorridor des Landes. Es ist die Verbindung zwischen Meer und Landesinnere.
 Nach 30 Km begegnen wir dem Örtchen Pocitelj. Optisch überragt die gut erhaltene Festung nicht nur das Dorf, sondern auch den Teil dieses Flussabschnittes. Eine Moschee gibt es auch, das Minarett mit den Lautsprechern ist ebenfalls weithin sichtbar. Nicht gerade klein das islamische Bauwerk. Ein Zeichen, wie bedeutend einst der Ort gewesen sein muss. Heute sieht das anders aus. Man sieht eine Gruppe von Menschen durch den kleinen Ortskern gehen, richten interessiert ihre Augen auf die Läden, Geschäfte und Häuser. Die Ansammlung von Gebäuden im osmanischen Stil waren ab 1961 Ateliers und Werkstätten einer Künstlerkolonie. Der deutsche Reisebus zeigt welcher Nation die Touristen angehören. Zwischenstopp mit Mittagessen vermutlich.

Die Neretva ist von ihrem Unter- bis zum Mittellauf unser ständiger Begleiter. 225 Km ist sie lang und damit der bedeutendste der Herzegowina.Von ihr profitieren die Menschen, wie immer von einem großen Fluss. Nur nicht in Form von der Schifffahrt und seinen Häfen. Sie ist die Lebensader. Die Neretva versorgt die Böden mit dem überlebenswichtigen Wasser und macht sie so sehr fruchtbar. Prädestiniert für den Obstanbau. Die Plantagen säumen kilometerlang das Ufer, haben einen hohen Ertrag und werden in unsere heimischen Supermärkte exportiert. Die Etikette an den Mandarinen-, Orangen- und Traubennetzen sind Beweis dafür. Der Landstrich ist für ihr Obst bekannt.
Die Herzegowina umfasst circa ein Drittel des heutigen Staatsgebietes. Dementsprechend groß ist das Gebiet und verdient es im Ländernamen erwähnt zu werden. Landschaftlich ist sie zudem sehr reizvoll. Die vegetationsärmeren Berge des Dinarischen Gebirges, mit ihren teilweise steilen Hängen, mit einer Höhe von teilweise über 2200m, prägen dieses Gebiet, das im südwestlichen Landesteil Bosnien-Herzegowinas zu finden ist. Das Klima ist sehr mediterran. Die Winter sind mild, die Sommer heiß und trocken. Klassisches Mittelmeerklima. Dadurch sind die weiten Karstlandschaften so typisch. Kaum übersehbar auf unserem Streifzug.

Mostar und die Brücke
Mostar. Diese weltberühmte Stadt, die symbolträchtigste Stadt im südöstlichen Europa. Geschichte ist an ihr zum Greifen nahe. Eine Stadt, nach ihrer alles prägende Brücke benannt. „Most“ heißt ins Deutsche übersetzt „Brücke“. Eine Stadt, die die Folgen des Bosnienkrieges von 1993 zu tragen hat. Sie ist heute in sich geteilt. Dabei spielt die Stari Most, die Brücke über den Fluss Neretva eine besondere Rolle.
Die Stadt in der Herzegowina, im südlichen Teil des Landes Bosnien-Herzegowina ist mit 110000 Einwohnern eine mittelgroße Stadt. Nicht zu groß, nicht zu klein. Wir schwitzen aus allen Poren, immer die Wasserflasche in der Hand. Es herrschen hohe Temperaturen in der Stadt, in der Mittagszeit fällt das Thermometer nicht unter 38 Grad. Man spürt kaum einen Luftzug am Körper. Der umliegende Gebirgszug Velez mit seinen fast 2000m hohen Gipfeln schließt eine der heißesten Städte Europas tief in einen Kessel ein. Sie ist nur auf 60m Meereshöhe gelegen. Daher dieses heiße Klima.
Mostar und seine Bürger haben eine bewegende Geschichte hinter sich und werden das wahrscheinlich immer verkörpern. Zu prägend ist das Geschehene. Die Stadt ist geteilt, zwar nicht mehr verwaltungstechnisch, wie bis zum Jahre 2004, aber aus den Köpfen sind die Grenzen innerhalb der Stadt deswegen trotzdem nicht gestrichen. Es hat Gründe, tief einschneidende. Bosnien und Herzegowina ist wie Kroatien, Slowenien oder Serbien aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien hervorgegangen, Tito’s Diktatur. Nach dem Zusammenbruch 1991 verfiel das Land in eine tiefe Spaltung. Der Bosnienkrieg war die logische Folge. Erst kämpften die Kroaten und Bosniaken Seite an Seite gegen die orthodoxen Serben. Als die Bosniaken ihren Staat ausriefen, sagten sich noch Kroaten und Bosniaken den Kampf an. Nachbarn führten plötzlich mit einer grausamen Brutalität und Gewaltbereitschaft Krieg gegeneinander. Ein Horror. In einem komplizierten Verfahren mussten drei verfeindete Parteien zu einem Staat vereint werden. Eine extrem schwierige Aufgabe mit dem hitzigen Temperament der Menschen in Südosteuropa. Fast unlösbar.
Es ist heiß, mit dem Auto halten wir uns immer an den Hinweisschildern zur Stari Most, unserem Hauptziel. Es wird langsam unerträglich im Auto, ohne Fahrtwind durch die Stadt zu tuckern. Das schlägt auf das Gemüt, etwas genervt ist man. Es kann nicht schnell genug gehen, einen Parkplatz zu finden. Wir fahren über eine der vielen Brücken über die Neretvta. Vom Ost- in den Westteil. Zu diesem Zeitpunkt sind wir uns dessen gar nicht bewusst, was das bezüglich des bereits geschilderten Hintergrundes heißt. Ziemlich schnell finden wir einen Parkplatz. Die Kassierer erwarten uns schon freudig, aber nicht aufdringlich. Auf perfektem Deutsch erklärt uns der Bosnier den Weg zum besagtem Ziel. Ein Katzensprung. Nach wenigen Metern beginnt schon die Altstadt. Sie erstreckt sich beiderseits der „Alten Brücke“. In den verwinkelten Gassen sind Restaurants, kleine Kunstläden und Souveniershops untergebracht. Viel Kitsch, aber auch eine Handvoll schöne Dinge. Die Touristen quetschen sich durch die Engstellen. Körper an Körper. Haut an Haut.
Plötzlich öffnet sich vor uns die Häuserfront, der blaue Himmel ist vor uns zu sehen. Wir sind angekommen, an der Alten Brücke, die das Hinterland mit der Adria verband. Ein architektonisch anspruchsvolles Konstrukt. Im 15. Jahrhundert wurde der Bau durch den osmanischen Sultan Suleyman I. in Auftrag gegeben, innerhalb von zehn Jahren wurde sie errichtet. Damals war es eine architektonische Meisterleistung der Ingenieurskunst. Zu Recht. Wirklich beeindruckend. Ein Bogen in Form einer Ellipse überspannt die smaragdfarbene Neretva. An der Seite endet der Bogen in Stützpfeilern aus Kalkstein. Angeblich habe der Architekt Mimar Hajrudin das Konzept der Einbogenbrücke in einem kleineren Maßstab getestet. Die Kriva Cuprija existiert heute noch, nur wenige Meter entfernt. Sie überbrückt allerdings nicht die Neretva, sondern die kleine Radobolja, gehört aber trotzdem zum geschützten Altstadtensemble. Der Weg über die Brücke verläuft bis zum Scheitelpunkt steil bergan, ab da an im gleichen Winkel wieder hinunter zur anderen Uferseite. Man muss aufpassen, durch den Steigungsgrad und die abgeschliffenen weißen Kalksteinblöcke kann man schnell wegrutschen und man liegt auf dem Hosenboden. Die Stufenabsätze vereinfachen das Überqueren, können die Gefahr jedoch nicht gänzlich verhindern. Am Scheitelpunkt sitzen die Brückenspringer auf der Brüstung. Sammeln Geld von den Touristen und springen dann elegant kopfüber in das türkise Wasser des Flusses. Nicht ganz ungefährlich, aber sie scheinen zu wissen, was sie tun. Soll sogar eine Art Tradition sein.
Es ist ein unglaubliches Bauwerk, allein von seiner Architektur her. Doch es ist mehr als das. Es ist diese tragische Symbolik, diese traurige Geschichte, die dahinter steht. 1993 wurde die „Stari Most“ im bestialischen Krieg von der kroatischen Artillerie regelrecht zerbombt. Ein Jahrhunderte altes Monument in Schutt und Asche. Nicht nur das, eine Welt bricht zusammen. Der 9. November 1993 hat sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt.
1995 begann der Wiederaufbau nach einer Zwischenlösung als Drahtseilbrücke. Allein schaffte der neue Staat das natürlich nicht. Wie auch, man musste sich schnell organisieren, dass man die Menschen miteinander vereint. Dabei wurden viele Bauelemente und Steine der ehemaligen Brücke verwendet. 2004 wurde sie dann feierlich eingeweiht und eröffnet. Ohne die finanziellen Hilfen der UNESCO, der Weltbank und der Türkei wäre das nie möglich gewesen. Das können wir auf einer Hinweistafel am Ende der Brücke nachlesen. 15 Millionen hat das gekostet und es hat sich wirklich eindrucksvoll gelohnt. Im Übrigen ist es das erste Mal, dass die UNESCO aktiv an einem Kulturdenkmal mithalf. Die Welt wäre ohne die Alte Brücke um ein ganz ganz großes Bauwerk ärmer.
Die äußeren Wunden sind beseitigt, die Altstadt ist vollständig wiederhergestellt, doch der Konflikt bleibt, wird auch in Zukunft bleiben, ich sage für immer. Das spürt man. Die Neretva trennt zwei Stadtteile voneinander. Ost und West. Christen und Muslime. Die Brücke verbindet, auch symbolisch. Das Alltagsleben sieht natürlich anders aus. Beide Seiten leben nebeneinander. Die islamischen Bosniaken leben und lieben in ihrem historischen Altstadtkern mit den alten Steinhäusern und den Moscheen. Genauso die Kroaten, die rund um die Franziskanerkirche ihre eigene Stadt kreieren. Wir schlendern durch die engen Gassen, „hüben wie drüben das gleiche Bild“. Restaurants, Souvenir- und Allerleiläden, diesmal auf der muslimischen Seite. Manche sind demnach orientalisch angehaucht. Die Moschee Kosmin-Mehmed Pascha hat die Wirren des Krieges passabel überstanden. Am Brunnen vor dem Gebetshaus erfrischen wir uns mit dem angenehm kühlen Wasser. Wir schlürfen, was das Zeug hält. Ein bisschen Erfrischung wenigstens. Nicht nur wir sehen das so.
 
Pause. Der Magen knurrt, die Beine wollen sich ausruhen. Ein gutes Restaurant haben wir rasch gefunden, nur 20 Meter von der Moschee entfernt. Wir haben sogar direkte Sicht auf die Brücke. Spaghetti Bolognese und Fladenbrot mit Schweinefleisch auf Spießen und Reis als zusätzliche Beilage. Dazu zwei Flaschen spritziges Wasser. Eine Wohltat, sehr lecker. Uns wird erst einmal bewusst, wo wir uns befinden. Die Eindrucke verarbeitet man langsam, sofern das überhaupt komplett möglich ist. Nach einer Stunde gehen wir weiter. Zusätzlich von der Sättigung des Essen geschlaucht.
Friedhöfe sind im Stadtgebiet immer wieder zu sehen. Einer ist nahe dem Altstadtensemble. Kriegsgräberstätte aus dem Bosnienkrieg. Die Zahl 1993 taucht zu 80 Prozent auf den Grabsteinen. Auch die gefallenen Serben sind auf den Friedhöfen bestattet. Heute lebt allerdings nur noch eine Minderheit von ihnen in der Stadt. Sie sind genauso verhasst. Werden möglicherweise auch verantwortlich für allen Übel gemacht.
Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sind die drei gültigen Amtssprachen des Landes Bosnien-Herzegowina. Sie unterscheiden sich entscheidend. Während das Kroatische und Bosnische in lateinischen Buchstaben geschrieben wird, beruht das Serbische auf der kyrillischen Schriftart. Darum sind beide auf den Straßen- und Richtungsschilder angebracht. Nicht nur hier, zumindest in der gesamten Herzegowina. Erst die lateinische Schreibweise, darunter das Kyrillische. Soweit so gut. Nur ist das Kyrillische durchgestrichen, mit schwarzer Farbe. Sieht nach Graffiti-Spray-Dose aus. Im gesamten Landstrich. Welch Hass aufeinander.
Das wirkt extrem bedrückend, beklemmend und macht nachdenklich. Wir sind still und sprechen für wenige Minuten kein Wort. Erst dann können wir uns wieder aus dieser trüben Stimmung befreien, die Laune wird wieder heiterer.
Es geht langsamen Fußes zurück durch die Innenstadt. Noch einmal dieses historische Flair, gepaart mit dieser gewissen Traurig- und Nachdenklichkeit in sich. Jedenfalls hat man immer das Gefühl.
Selbst erlangt einem eine gewisse Demut. Wir persönlich mussten glücklicherweise so etwas nie erfahren. Es bewegt uns. Später werden wir immer wieder sagen, wie stark uns diese Stadt in Erinnerung geblieben ist. Ein Mahnmal, trotz dieser traumhaften Schönheit, dieses Mostar.

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