15 Oktober 2014

Naturspektakel der Superlative – Ohne Übertreibung (Teil 16)

Morgens 9 Uhr bricht der Tag für uns an. Im Supermarkt Lidl, was sonst, holen wir uns Leckeres zum Beißen. Der Magen ist nämlich noch leer. Ein Baguette, etwas Aufschnitt und Kekse. Nach dieser Stärkung fahren wir die nächste Stunde, rund 60 Kilometer, zu den Plitwitzer Seen. Die Wegstrecke dorthin wird holpriger als gedacht. Auf der hügel- und kurvenreichen Route durch das Karstgebiet Mittelkroatiens reiht sich Baustelle an Baustelle. Nicht vergleichbar mit denen in Deutschland. Bei uns ist es so, dass erst eine Fahrbahnseite fertig gestellt wird, danach folgt die andere. Logisch, um die Straße nicht komplett sperren zu müssen. Das kroatische Verständnis ist dagegen konträr. Sie sanieren die Straße komplett, tragen den gesamten Asphalt ab, walzen daraus eine Schotterpiste und schicken die Autofahrer während der Bauphase über diese Piste mit dicken Steinen, fast schon Gesteinsbrocken. Staub wird meterhoch aufgewirbelt, dass man zwischenzeitlich denkt, man befindet sich mitten im Sandsturm. Dementsprechend dreckig ist das Fahrzeug hinterher. Das geht über 10 Kilometer so. Von Abschnitt zu Abschnitt. Am Ende lassen sie uns noch über frisch geteerten Asphalt fahren. Das Kleben der Reifen ist im Cockpit förmlich spürbar. Die Arbeiter schauen uns mit schiefen Augen an. Wahnsinn. So verschiedenen sind die Ansätze. Bei uns wäre das undenkbar.


Von Korenica sind es noch exakt zehn Kilometer bis zum Eingang des Nationalparks. Der Durchfahrtsort ist durchaus belebt, profitiert von der räumlichen Nähe zu den Plitwitzer Seen. Die dichten Wälder, die das Nationalparkgebiet umgeben, kommen immer näher. Ebenso die Erhebungen des Pljesevica-Gebirges, einem Teil des riesigen Dinarischen Gebirgszuges. Wir befinden uns unweit der Grenze zu Bosnien-Herzegowina, nur wenige Kilometer sind es in den Nachbarstaat.
Die Schilder mit Übernachtungsangeboten überhäufen sich. Appartements und Pensionen sind über all ausgeschildert. Ich weiß nicht, aber das Angebot übersteigt mit Sicherheit die Nachfrage. Plitvicza Jezera passieren wir, die direkt an der Nationalstraße 1, der Verbindung zwischen Karlovac und Zadar gelegen ist. Die Gemeinde umfasst zahlreiche kleinere Ortschaften innerhalb der nahen Umgebung des Nationalparks. Wieder Pensionen, Ferienwohnungen und Hotels an einer Perlenkette aneinandergereiht.
Hier gibt es den ersten Parkplatz für die Nationalparkgäste. Stellt man sein Fahrzeug hier ab, befindet man sich etwa auf der Hälfte des Nationalparkareals und steigt somit auch dort in das Wegenetz ein. Beliebter ist logischerweise der Haupteingang. 3km der Straßenführung folgen und schon ist das Ziel erreicht. Parkplätze sind ausreichend vorhanden. Busse, Wohnmobile und PKWs finden alle ihren Platz. Kostenpflichtig natürlich. Ticket ziehen und am Ende des Besuches am Kassenhäuschen bezahlen, lautet die Devise. Es herrscht ordentlich Betrieb. Gott sei Dank nicht zu voll, die Hochsaison ist noch nicht im Gange. Dann ist Alarm. Bis zu 20000 Gäste strömen pro Tag an Spitzentagen, meist als Eintagesausflug aus den Ferienorten am Meer kommend und per Reisebusarmada herüber gekarrt, zu diesem Naturspektakel der Superlative. Denn das ist es wahrlich. 1949 erhielt es den Status des Nationalparks. Damit ist er nicht nur der älteste Kroatiens, sondern auch in Südosteuropa. Gleichzeitig ist er auch mit einer Fläche von gut 300 Quadratkilometer der Größte des Landes. Die erste Annäherung zum Fremdenverkehr begann zum Ende des 19. Jahrhunderts als die Habsburger Kronprinzessin Stephanie von Belgien dieser Region einen Besuch abstattete. Danach wurden die ersten Hotels und Pensionen gebaut, das gesamte Gebiet um die Seen wurde zum Schutzgebiet erklärt. Nutzte nur in manchen Phasen nicht sehr viel. In den Kriegen wurde darauf nur wenig Rücksicht genommen. Besonders der Bosnienkrieg von 1991 bis 1995 hatte es in sich. Viele Nationalparkgebäude wurden zerbombt oder niedergebrannt. Darum wurde es danach sofort wieder aufgebaut, als eines der ersten Gebiete. Dem Status als Weltnaturerbe, 1979 als eines der ersten Naturdenkmäler überhaupt auf die Liste der UNESCO gesetzt, sei Dank.

Seine Bekanntheit hat der Nationalpark durch die legendären Karl-May-Verfilmungen in den 1960er Jahren erlangt. Schauspieler Pierre Bris ritt als Winnetou durch die urwüchsige Landschaft. Ideal als Hintergrundkulisse für das Western-Epos.

Eine Holzbrücke führt uns über die Bundesstraße zum Eingang. Vor uns eine Reisegruppe älterer Senioren. Die brauchen etwas länger. Das Holz schwingt ganz schön. Irgendwie biegt es sich leicht. Wir stellen uns an, die Schlange ist nicht lang. Umgerechnet 12 Euro kostet der Eintritt pro Person. Den Streckenplan gibt es gratis hinzu. Auf geht´s, wir werden ordentlich Kilometer zurücklegen. Wir sind gut gerüstet. Die bequemen Laufschuhe werden gegen Fußschmerzen sicher helfen. Die Temperaturen werden ebenfalls eine Herausforderung. Bei nahezu 30 Grad ist der Wasserhaushalt natürlich extrem wichtig. Gegen die Sonne hilft ein Cappie bzw. ein Hut. Die Asiaten schützen sich vor ihr radikal. Lange Hose, langes Oberteil und ein Hut. Vereinzelte haben sogar Sonnenschirme dabei. Es ist eben eine andere Kultur. Im Gegensatz zu uns gilt die Helligkeit ihrer Haut bei ihnen als Schönheitsmerkmal. Sechs Euro werden wir nachher entlöhnen.

Wir gehen immer der Meute hinterher. Automatisch ist man zwischen den Gruppen eingekeilt, kann auf Grund des schmalen Weges nicht langsamere Personen überholen. Es geht bergab, hinunter zum ersten See. Zwischen den Bäumen kann man den mächtigen Wasserfall sehen. Von den Aussichtsplattform hat man einen freien Blick. Die Kraft, mit der das Wasser herunterschießt, ist gewaltig. Die Gischt spritzt, das Wasser verdampft in der Luft. Wir sind schon nach wenigen Minuten beeindruckt. So ein Schauspiel haben wir noch nie gesehen. Dazu später mehr.
Die unteren Seen liegen eingeschnitten in einem riesigen Canyon. Links und rechts ragen steile Wände von Kalkstein in die Höhe. Knappe 100m geht es in die Tiefe von unserem Aussichtspunkt. Wir können erahnen, welch Weite wir erlaufen und genießen können. Ein atemberaubendes Bild. Das war aber erst der Anfang.
Der Nationalpark ist kaskadenförmig angeordnet. Insgesamt folgen 16 oberirdische Seen aneinander. Diese bilden sich aus dem Bach Plitvica, den unzähligen Quellflüssen aus den umliegenden Gebirgen, den unterirdischen Karstflüssen und dem Zusammenfluss der Weißen und Schwarzen Rjieka.
Die Seen sind jeweils durch natürliche Barrieren getrennt. Durch die Ablagerungen des kalkreichen Wassers, mittels chemischen Prozessen von Algen, Moos und Calciumcarbonat. Die Barrieren verändern sich von Zeit zu Zeit. Das Fließwasser und die Vegetation sind durch das ständige Wechselspiel immer in Bewegung. Darum auch diese unglaublich reiche Pflanzen- und Tierwelt. Einzigartige Vorgänge, kaum vorstellbar.
Die Wanderung beginnt. Schilf lagt entlang des Weges weit aus dem Wasser heraus. Wir umrunden den Kaluderovac See rechter Hand, überqueren den Gavanovac-See auf einen Holzsteg, um den Milonovac-See linksseitig zu umrunden. Am Gavanovac-See kann man die blaue Grotte und die Supljara-Grotte bestaunen. Nur kurz vom Hauptweg 50m abzweigen. Die steilen Treppen hinauf zu kraxeln erfordert körperliches Geschick. Einige, vor allem betagteren Alters, haben damit kleine Probleme. Viel zu sehen gibt es dort nicht. Zurück auf dem Hauptweg kommen wir in Berührung mit dem Wasser. Es tritt teilweise über das Ufer. Aufpassen ist angesagt, dass man nicht nasse Füße bekommt. Obwohl die Abkühlung sicher gut tun würde. Wie eine Perlenkette schlängeln sich die Touristen den Wegen entlang. Lustiges Bild. Einige von ihnen sind besonders bei der Sache. Um den richtigen Blickwinkel für das Fotomotiv zu haben, werden gegebenfalls schon einmal Ellbogen ausgefahren oder die ganze Schlange gerät dadurch ins Stocken.
Die Augen sind nicht nur deswegen weit offen. Sie wollen jedes Detail neugierig aufsaugen. Diese phänomenale Natur hat uns komplett in ihren Bann gezogen.
Ein Highlight des Nationalparks ist sicherlich der Kojzak-See. Einer der größten von den insgesamt 16! Ja Sechzehn. An der Abfahrts- bzw. Anlegestelle gibt es Bänke und Tische für eine Rastmöglichkeit. Imbissverpflegung mit Essen und Trinken inklusive.Wer zu faul ist oder wem der Weg zu lang ist, den Kojzak-See per Fuß zu umgehen, benutzt das Elektroboot, welches beide Ufer auf bequemen Weg miteinander verbindet. Es hat irgendwie etwas Paradiesisches. Wir schippern fast geräuschlos auf dem See, kommen dem gegenüberliegenden Ufer immer näher, vorbei an einem kleinen Eiland, erinnert fast an den Werbespot des Krombacher Bieres aus dem Fernsehen, inmitten des Gewässers. Das Wasser strahlt in türkisen Farben. Die Enten schwimmen darin in Kolonnen quer über den See.
Das Baden ist strengstens verboten. 150 Euro Strafe erwarten die Unverbesserlichen, die dagegen verstoßen. Einen hat es unter unseren Augen erwischt. Er wollte gerade wieder aus dem Wasser heraus, da steht die Security-Einheit bereits wartend am Ufer auf ihn. Abgeführt. Generell erweist sich das Areal als sehr geschützt, als sehr umweltgeschützt.  Kein Papier, kein Plastik, kein Müll liegt auf den Wegen oder gar im Wasser. Zur Kontrolle laufen Nationalparkmitarbeiter das gesamte Gelände danach ab, leeren gegebenfalls die gefüllten Mülleimer. Alles zu Fuß. Sie legen ordentlich Kilometer während ihrer Arbeitszeit zurück.
 
Der Holzpfad führt uns weiter über das Wasser um den Gradinsko See, teilweise durch regenwaldartige Schilflandschaft. Wir befinden uns in einer deutschen Reisegruppe mit deutschsprachigen Tourenguide. Mitten unter Ihnen haben wir uns geschmuggelt. Interessante Infos und Anekdoten erfahren wir so ganz nebenbei.
Die Luftfeuchtigkeit wird immer höher. Man schwitzt extrem. Die Kaskaden zwischen Gradinsko und Galovac See verwandeln diesen Bereich in einen Urwald. Beide Gewässer sind nicht tief, 15 Meter. Wilde Wasserläufe bahnen sich ihren Weg durch das Gestein. Kleine Wasserfälle lassen das kristallklare Wasser, in dem kleinste Äste zu erkennen sind, schäumen. Das Wasser spritzt uns ins Gesicht. Natürliche Abkühlung nennt man das. Eine wahre Pflanzen- und Tiervielfalt entfaltet sich, nicht nur hier, im gesamten Schutzgebiet des Nationalparks. Endemische Pflanzen darunter, die es nur in dieser Seenlandschaft gibt. Auffällig sind die Millionen von Fischen, die an der Oberfläche schwimmen. Schwärme um Schwärme, in jedem See. Wir staunen nur noch. Wir haben solch Natur noch nie gesehen.
Es geht weiter im Programm. Viele Besucher brechen nach den Kaskaden ab und machen sich auf den Rückweg. Es ist ein gehöriger Fußmarsch, das darf man nicht unterschätzen. Dafür wird es jetzt ruhiger, die Wege sind nicht mehr so beladen. Wir umrunden den Galovac-See. Der schmale Weg führt uns direkte am Ufer entlang. Das Wasser droht jeden Moment überzulaufen. Wenige Zentimeter fehlen nur, dann berührt man das Wasser. Der Galovacki-Wasserfall ist natürlich schon aus einiger Entfernung wahrnehmbar. 25m geht es zwischen Wasser- und Graspflanzen in die Tiefe.
 
Auf einer Bank am Wegesrand setzen wir uns, gönnen uns eine Brotzeit, die wir uns als Proviant im Rucksack vorher mitgenommen haben.
Wir umrunden den Malo See, den Veliko See und den Okrugljak See. Den Ciginovac lassen wir rechter Hand liegen. An jedem See können wir den Name, die Länge und Tiefe des jeweiligen Gewässers auf schwarzen Schilder lesen. Somit hat man eine kleine Orientierung, in welchem Abschnitt man sich gerade befindet. eine kleine Hilfestellung mit Informationshintergrund.
Kurz vor dem Ziel durchqueren wir eine kleine Wald- und Wiesenlandschaft. Das Wasser haben wir immer noch an unserer rechten Seite. Eine Lichtung mit fantastischen Blick auf den Proscansko See, der wieder endlos lang zu sein scheint, das Ufer kann man nicht sehen, bedeutet das Ende. Wir sind am obersten See angekommen. Über 150 Höhenmeter haben wir erklommen, sind nun auf einer Höhe von 639m über Normalnull.
 
Pause. Wir stärken uns, mampfen unsere Verpflegung komplett auf. Das Wasser ist auch leer. Die Elektrobahn bringt die Touristen zu ihren Parkplätzen P1 und P2 zurück oder wir nehmen den Weg, den wir genommen haben wieder in Kauf. Keine Frage für uns, nach der Verschnaufpause brechen wir auf, zu Fuß. Die Highlights ziehen uns an, sie unbedingt ein zweites Mal zu sehen. Die Galovacki-Wasserfälle, die Kaskaden unterhalb des Galovac-Sees, die Überfahrt des Kojzak-Sees mit dem Elektroboot. Die Menschen kommen uns entgegen. Viele von ihnen sind körperlich am Limit. Die Temperaturen, die Luftfeuchtigkeit und die Streckenlänge sind nicht zu unterschätzen. Schnaufend fragen sie uns, wie weit es noch zum Ziel sei. Leider konnten wir sie mit unserer Einschätzung nicht zusätzlich motivieren. Der Weg kann lang sein.
 
Rund eine Stunde später sind wir in der Nähe des großen Wasserfalls. Ein Holzbrückenpfad entlang des hochaufragenden Karstgesteins führt zu ihm. Der Pfad ist teilweise von der wilden Wassermasse überschwemmt. Die Plitvica rauscht 78m in die Koranaschlucht, aus der sich der gleichnamige Fluss seinen weiteren Verlauf bahnt. Irre Kräfte werden da frei. Die Gischt spritzt so stark, dass wir 50m entfernt noch die Tropfen auf der Haut spüren. Fotoshooting. Kreative und auch abstrakte Positionen und Stellungen werden von den Touristen eingenommen. Ähnlich wie beim Schiefen Turm in Pisa. Lustiges Schauspiel ist das für uns unauffällige Beobachter.
Nach über vier Stunden gehen wir den Weg hinauf zum Haupteingang, den wir heute Vormittag genommen hatten. Ein letztes Mal genießen wir den Blick in den Canyon. Ein letzter auf die untere Seenlandschaft und den riesigen Wasserfall. Noch einmal diese unglaubliche Natur der Superlative. Es ist ein Highlight in jedem Kroatien-Urlaub. Daher ein unbedingtes Muss.
 

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