05 Oktober 2014

Spiegelbild Kroatiens – Der Kampf um Industrie (Teil 6)





Rijeka, die alte Industriestadt Kroatiens. Unsere Reise dorthin führt uns ab Postojna durch das Hinterland zur slowenisch-kroatischen Staatsgrenze Rupa. Zeit muss man allerdings mitbringen. Auf der Landstraße mit wenig Überholmöglichkeiten schlängelt sich der Verkehr dahin. Es zieht sich. LKWs, Wohnmobile, Autos mit Anhängern voll Boote oder Motorräder verstopfen die zweispurige Strecke. Besonders zur Reisezeit. Nämlich dann, wenn die Invasion deutscher Urlauber beginnt. Jedes zweite Auto besitzt ein deutsches Kennzeichen. Irgendwie unbehaglich. Obst- und Gemüsehändler bieten unterwegs ihre Waren am Streckenrand an. Die Gelegenheit nutzen wir. 500 Gramm Kirschen kaufen wir uns beim perfekt Deutsch sprechenden Händler. Er wäscht sie uns freundlicherweise.
Kurz vor der Grenze tauschen wir noch Geld. Kroatien gehört zwar seit dem 1. Juli 2013 zur Europäischen Union, aber natürlich nicht zur Währungsunion. Heißt, bezahlen mit Euro ist nicht machbar. Ein Kuna entspricht 13 Cent. Hmm, machen wir es einfacher. Ein Euro sind 7,6 Kuna. In den Wechselstuben vor der Grenze, aber auch im Landesinneren beträgt der Kurs meist glatt sieben Kuna. Ein kleiner Beschiss. Jeder will am Tourismus Geld verdienen, es gibt ungerechtere Dinge.

 
Die Staatsgrenze wartet auf uns, die Schlange ist noch überschaubar. Wieder diese deutschen Kennzeichen, ab und an mischen sich Österreicher, Italiener, Slowenen und vereinzelt Kroaten dazwischen. Kontrolle. Die slowenischen Beamten lassen uns ohne Bedenken durch, warum sollten sie auch. Das ändert sich. Die kroatischen Kollegen sehen das anders. Ich muss nur zu meiner Schande gestehen, dass ich daran nicht schuldlos bin. In der Annahme, dass die gute Frau uns ohne Passkontrolle durchlässt, fahre ich an ihr fast vorbei. Im letzten Moment halte ich doch an. Es ist klar, was danach kommt. Bitte rechts auf die Seite. Typische Frage natürlich: „Haben Sie Alkohol dabei?“. Unsere Antwort mit einem Lächeln: „Nein“. Nächste Frage:“ Haben Sie Zigaretten dabei?“. Unsere Antwort:“Nein“. Wir sind entspannt, haben nichts zu befürchten, in der Gewissheit keine Verstöße begangen zu haben, egal gegen was. Sie ist ganz verwundert, ihre Einschätzung schlug fehl. Nach einem kurzen Frage-Antwort-Spiel bezüglich unser Reiseplanung gewährt sie uns den Durchlass.

Bis Rijeka sind es 20km. Sechs Kuna Autobahnmaut müssen wir entrichten. Dafür sind sie perfekt ausgebaut, keine Ruckeln, kein Schlagloch. Viele zweigen in die vielen, vielen Urlaubsorte nach Istrien ab. Die Autobahn leert sich.
Wir wollen erstmal ans Meer, die Spätnachmittagssonne uns auf die Bäuche und Rücken scheinen lassen. Eine Herausforderung, einen geeigneten Platz auf die Schnelle zu finden, unvorbereitet wie wir sind. Sandstrand gibt es an der kroatischen Küste nicht. 15Km hinter Rijeka reicht es uns. In Bakar machen wir Stopp. Handtücher heraus, die Badehose angeschnallt und die Sonne genießen. Ach ja, das Eincremen darf man trotzdem nicht vergessen, wichtig. Der schönste Platz ist es jetzt nicht, neben einer Werft für kleine Segel- und Motorboote sowie Yachten, gegenüber der Lärm der Kohleentladestelle. Auf den Betonplatten einer ehemaligen Bootsanlegestelle lassen wir uns nieder. Die Kinder spielen mit ihren Eltern und Großeltern ein paar Schritte entfernt von uns. Ein Opa fischt mit seinem Enkel, für das Abendessen sorgen die beiden schon. Eigentlich ist Bakar mit seinen 8000 Einwohnern, denkt man gar nicht, idyllisch gelegen. Die Bucht, die den Namen der Stadt trägt, ist im hinteren Teil durch die steilen, felsigen Abhänge der Küste gekennzeichnet, im vorderen Bereich gibt es nicht wirklich Natur, die Industrie hat dort das Sagen. Die umweltverschmutzende Kokerei ist zum Glück geschlossen. Die Raffinerie und die Kohleentladestation mit den alten Frachtschiffen ist allgegenwärtig, deren Lärm tagsüber zumindest immer wahrnehmbar. Der Ort lebt wirtschaftlich davon, Tourismus spielt dadurch keine Rolle.

Die mittelalterlich geprägte Altstadt mit den Häusern von Handels- und Kaufleuten, den engen Gassen voller Treppen und Stufen sowie die große Pfarrkirche mit dem direkt umliegenden Ensemble weiß zu gefallen. Das Kastell über der Stadt, von unserer Liegeposition bestens zu sehen, ist Zeugnis einer doch langen und bewegten Geschichte. Unter dem adriatischen Adelsgeschlecht der Frankopanen als wichtiger Handelsort im Mittelalter empor gestiegen, fiel es im 18. Jahrhundert an Österreich, die es auch als strategischen Ort für die Schiffsindustrie betrachteten. Doch Bakar verlor an Bedeutung, wurde immer verschlafener, immer verlassener. Der große Tito, Jugoslawiens späterer Diktator, saß in dem kleinen Städtchen 1927 in Haft, als politischer Gefangener. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts tritt Bakar nicht mehr spektakulär in Erscheinung. Man versucht sich verschiedene Wirtschaftszweige aufzubauen, teils heute noch zu sehen, wie zum Beispiel die schrägen Holzleitern für den Thunfischfang, die steilen Weinbauterrassen oder die Kokerei. Immer auf der Suche nach Geld und Wohlstand.


Nach über einer Stunde faulem Herumliegen raffen wir uns langsam wieder auf, die Sonne hat uns gut getan. Entlang der Küste fahren wir nach Rijeka. Alles ist bebaut, wenig grün, kein Strand. Die Raffinerien, Schiffswerften und Verladestationen sind charakteristisch für diese Stadt. Rechts von uns am Berghang ragen die Plattenbauten heraus. Nein, sie thronen über allem, über der Stadt, immer mit Blick auf das Meer. Damit sind wir bereits bei der äußerlichen Charakteristik. Ihre Ausrichtung des vergangenen Jahrhunderts ist mehr als deutlich. Noch heute ist sie die wichtigste Hafenstadt Kroatiens. Der Zugang zum Meer ist gerade für Österreich und Ungarn, die einen Freihafen besitzen, von enormer Bedeutung. Zudem spielt der Schiffsbau eine eminent wichtige Rolle für die Bürger Rijekas. Er brachte ihnen im 18. Jahrhundert Wohlstand und Vermögen. Das war einmal. Werft um Werft musste schließen. In der Gegenwart muss man kämpfen, kämpfen um den Erhalt dieses Industriezweiges. Die sinkende Konjunkturlage hat ihre Spuren in der Stadt hinterlassen. Sie erstrahlt nicht im neuesten Glanz. Der Zahn der Zeit nagt, das merkt man. Wir parken direkt am Meer, die Plätze im Hafen sind um die abendliche Zeit kostenlos. Wir fragen bei Passanten extra nochmal nach. Die riesigen Kreuzfahrtschiffe fallen sofort ins Auge, gigantische Maschinen, die von Kontinent zu Kontinent über die Ozeane fahren. Nebenan können die frisch gewienerten Yachten mit der Größe natürlich nicht mithalten. Sie stechen mit ihrer millionenschweren Exklusivität hervor. Luxus pur. Ein krasser Gegensatz, die Einwohner versuchen ihren Alltag bestmöglich zu bestreiten und am Hafen logieren die Reichen. Über die Straße namens Riva hinweg geht es in den Stadtkern., direkt zur Flaniermeile und Hauptschlagader Rijekas, der Korzo. Ab dem Jadrinski-Platz führt sie parallel zur eben genannten Uferstraße zum Kroatischen Platz. Breit angelegt, links und rechts säumen Boutiquen und Geschäfte aller Art.


Orientalische Musik hören wir aus einiger Entfernung. Ein Umzug zieht durch die Straßen Rijekas. Wir treffen auf dem Korzo auf ihn. Gläubige feiern einen Ehrentag ihrer Religion. Welchen? Wir wissen es nicht. Möglicherweise sind sie buddhistisch. Schwer zu sagen. Gläubige in Seidengewändern und bunten Tüchern, Bauchtänzerinnen und Schaulustige begegnen uns auf dem Korzo. Im Hintergrund immer diese laute orientalische, indische Musik. Höhepunkt des Umzuges ist der bunt geschmückte Wagen mit der Abbildung eines Gottes oder Schutzheiligen. Von den Teilnehmern wird er durch die Straßen gezogen. Freudig wird um ihn getanzt. Manche versuchen uns anzusprechen, wollen Hefte verkaufen oder Flyer an uns verteilen. Viele verhalten sich, wie wenn sie sich Pillen eingeworfen hätten. Unheimlich. Wir wiegeln ab. Auch im Nachhinein konnten wir nicht klären, welches Fest , welcher Tag gefeiert wurde.

Surf'n Fries heißt ein Schnellrestaurant. Wir sind überrascht, die Bedienung spricht perfekt Deutsch. Kein Wunder, sie habe ein paar Jahre in Deutschland gelebt. Ein kleiner Small Talk entwickelt sich. Cheeseburger mit Pommes und Cola gönnen wir uns. Nicht gerade gesund, aber satt macht es. Gemundet hat es auch, das Brötchen zwar etwas pappig, aber alles im Rahmen. Wollen wir nicht das Haar in der Suppe suchen.

Am Kroatischen Platz biegen wir für einen kurzen Abstecher links ab. Wir durchlaufen das Säulenportal zum Platz der Resolution von Rijeka. Mit dem Municipal-Palast und der gegenüberliegende Kirche des Hieronymus hat er zwei Hingucker, die es anzuschauen gilt. In der ehemaligen Mädchenschule ist die heutige Universitätsbibliothek untergebracht. Der Intellekt von heute und morgen trifft sich in dem Gebäude zum Studieren und Lernen. Immer noch befinden wir uns im Herzen der Stadt. Zurück zur Korzo. Es ist kein Prachtboulevard, es ist nicht mondän, bei weitem nicht. Nicht vergleichbar mit Perlen der Adria wie Venedig, Dubrovnik oder Split. Der Glanz aus vergangenen Tagen ist irgendwie erkennbar. Prunkvolle Gebäude gibt es immer noch, wenn auch mit einigen Makel da und dort. Egal. Am Ende der Korzo biegen wir links ab. Über den Platz Grivica und einem Schulhof, wo gerade ein leidenschaftlicher Straßenkick von jungen Fußballern stattfindet, kommen wir zum Park Nikola Hosta. Vorher nur noch die breitspurige Verkehrsader Zvatra fazisma überqueren. Es ist sozusagen das Museumsareal Rijekas. Stadtmuseum, Naturwissenschaftliches Museum mit einer Sammlung von über 50000 Exponaten und Marinemuseum sind auf engstem Raum erreichbar. Kurze Wege nennt man das. Das Computermuseum Peek & Poke ist auch gleich um die Ecke zu besichtigen. Zur abendlichen Zeit des Sonnenuntergangs ist natürlich keines mehr geöffnet, der Reiz danach war nicht allzu groß. Am Platz Klobuca-Revica, einem kleinen grünen Park schlendern wir zurück in Richtung Meer. Entlang des Kanals, in dem Ruder- und Fischerboote ihren Anlegeplatz haben. Alle zweckmäßig, alle gebraucht.
Von hier unten hat man eine hervorragende Sicht auf den Hausberg, den Trsat. Dort oben befindet sich eine Burg, die im 13. Jahrhundert bereits entstanden ist. Der Berg ist eine der ältesten Wallfahrtsorte Kroatiens. Die Kirche der seligen Jungfrau Maria gilt als Heiligtum unter den Christen und lockt zahlreiche Pilger jährlich an. Angeblich soll 1921 das Geburtshaus der Jungfrau Maria aus Nazareth nach Trsat versetzt worden sein, von Engeln natürlich. Nebenan im Franziskanerkloster sind einige Reliquien der Kunst untergebracht. 538 Stufen führen hinauf. Ein gewisser Petar Kruzic ließ sie 1531 bereits errichten und im Verlauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte erweitern. Seitdem wird dieser Pilgerweg gehuldigt. Naja, wer daran glaubt, warum nicht.

Wir sparen uns den Weg, haben nicht mehr den letzten Elan hinaufzumarschieren. Wir gehen weiter.
Das Theater. Das Nationaltheater. Angeblich das Beste des Landes. Ein repräsentativer Bau in ockergelb. Groß, stilvoll, einnehmend. Im Jahre 1885 erbaut, von Wiener Architekten entworfen. Hinter dem Gebäude wird es weit weniger repräsentativ. Rund um die Markthallen wird es anders. Es stinkt unangenehm, der Müll liegt auf den Straßen und in den Ecken. Die dunkelroten Fabrik- und Wohnhäuser sind mit Grafiti beschmiert. Es macht alles einen etwas dreckigen Eindruck. Doch die Arbeit tobt hier, man kann sich vorstellen welch Treiben und Aufregung in den Hallen herrschen. Jeder ist auf der Suche nach der frischen Ware mit möglichst bester Qualität. Man fühlt sich irgendwie unwohl, das nur einen Katzensprung von der Altstadt entfernt. Schnell sind wir daher wieder am Wasser.

Am Uferkai entlang lassen wir das Meer in keiner Sekunde aus dem Auge. Es fasziniert mit seiner unendlichen Weite und seinen kraftvollen Eigenschaften. Wieder Müll. Im Wasser schwimmen Essensreste, Plastiktüten und Dosen. Widerlich. Die nächste Bank gehört uns. Wenn man da so sitzt, weiß man, warum es die meisten Reisende Urlaub für Urlaub an das Meer zieht. Viele Minuten vergehen. Die Sonne geht unter, wir zum Auto. An der Riva angelangt. Der neobarockische Palais Modello ist das letzte sehenswerte Gebäude auf unserem über zweieinhalbstündigen Stadtrundgang. Rijeka, ein anderes Kroatien an der langen Adriaküste. Kaum beeinflusst und geprägt vom boomenden Tourismus nördlich und südlich der Stadt, höchstens als Ausflugsziel. Die Stadt ist dafür nicht geschaffen.

Sie ist Industriestandort. Unverblümt bekommt man die wirtschaftliche Situation Kroatiens zu sehen. Der Kampf um wirtschaftliche Stabilität, den Erhalt von tausenden Arbeitsplätzen und Verbesserung des Lebensstandards. Der Zustand ist deutlich sichtbar, auch insgesamt vom kroatischen Land. Die Abhängigkeit vom Fremdenverkehr und der Rückgang des traditionellen Schifffahrtszweig stehen stellvertretend dafür. Darum finde ich Rjieka so interessant. Weil eben nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. 

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